Gaia Fantasia
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 Tortuga

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BeitragThema: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 1:34 am

Debbie
Rauchschwaden zogen über das ruhige Wasser im Hafen Tortugas. Nein, es war kein Nebel, es war wirklich Rauch. Das gelegentliche Knallen von Donnerbüchsen drang vor bis zu den Docks, doch das Lachen und Grölen der betrunkenen Piraten war hier kaum noch hörbar.
Fast gänzlich verlassen lagen die Anlegestellen in der Dunkelheit, nur ein leichtes Glimmen verriet die Anwesenheit einer einsamen Gestalt, gelehnt an eine der mannshohen Kisten, den Blick auf die Verheißung gerrichtet, welche etwas weiter draußen in der Bucht ankerte.
Der Schritt schwerer Stiefel näherte sich, doch die Gestalt hob nicht mal den Kopf, sonder zog ein weiteres Mal an der schlanken, geschnitzten Pfeife.
"Capt´n?"
Captain Dracan hob den Kopf.
"Er ist noch immer nicht eingetroffen" stellte sie fest.
"Nein", Noah schüttelte mit einem bedauernden Gesichtsausdruck den Kopf. "Und Blauhand wird langsam ungeduldig."
Lhea schnaubte.
"Was sollen wir tun, Capt´n?"
"Wir werden aufbrechen."
"Und Kiddy?"
Lhea zog ein weiteres Mal an ihrer Pfeife, bließ den Rauch durch den Mundwinkel und wandte dann endlich den Kopf zu ihrem Schiffskoch.
"Er hält sich nicht an seine Verabredung, also tue ich es auch nicht. Wenn er sich noch traut mir unter die Augen zu treten, so soll er es am Kap von Guantanámo tun."
Sie nahm die Pfeife aus dem Mund, klopfte den restlichen, glimmenden Tabak auf dem Fass neben ihr aus und steckte sie in das Revers ihres Mantels.
"Und jetzt, Capt´n?"
"Jetzt werden wir den Rest von diesem versoffenen Haufen zusammentrommeln."
Noah erlaubte sich ein Grinsen. Er liebte es, seinen Captain bei diesem Vorgehen zu begleiten, denn so geriet er automatisch nicht in ihre Zielgerade.

Mit einigen langen Schritten befand sich Lhea auch schon mitten in den verdreckten Gassen Tortugas, hinter sich den eiligen Schritt Noahs hörend, der leicht bei dem Versuch keuchte, mit ihr Schritt zu halten.
Im Gehen band sie sich ein Tuch über Mund und Nase und stopfte den langen Zopf unter ihren Hut. Viele Piraten wussten zwar über die Identität von Lhea Dracan Bescheid, doch in betrunkenem Zustand vergaßen sie manchmal zu schnell, was Respekt bedeutete, vor allem, wenn sie nicht zu Captain Dracans Crew gehörten.
Lhea wusste schon immer, wo sie ihre Männer fand. Die einen beim Glücksspiel in finsteren Spelunken, die anderen in den zahlreichen Bordellen, doch sie machte sich nur die Mühe einige wenige aus ihrem kurzen Glück zu reißen und sie loszuschicken, um den Rest zusammen zu suchen.
Sie wusste, auf wen sie zählen konnte und wer schon nach einer halben Flasche Rum zu betrunken war, um noch auf Händen und Füßen zu gehen.
Wie immer suchte sie sich Arteilan und Lamignon raus. Lamignon trank grundsätzlich nur wenig, da er es seiner Frau versprochen hatte (wenig galt hier als sehr relativ, doch Lamignon war in der Lage zu erkennen, was absolut nicht mehr wenig war) und Arteilan, der Fässer voll Schnaps trinken konnte, ohne auch nur einmal zu blinzeln.
Nur der Captain selbst konnte so viel trinken wie ihr Steuermann, ohne dass sie dabei ihre natürliche Sinneswahrnehmung verlor.
Nachdem beiden ihr Befehl erteilt worden und sie in verschiedene Richtungen verschwunden waren, setzte Lhea ihren Weg fort, noch immer Noah als ihren Schatten, der schon voller Vorfreude verschmitzt lächelte. Lhea konnte ein schiefes Grinsen nicht unterdrücken, doch ihr Gesichtsausdruck wurde sofort wieder steinern, als sie sich einer Eckbar näherte, vor der sich drei Piraten um den Gewinn eines Spiels prügelten, dessen Betrag für Lhea jedoch im Verborgenen blieb.
Mit einem kurzen Blick registrierte sie, dass keiner der Männer zu ihrer Crew gehörte, dass jedoch jener, der daneben stand und das Treiben leicht amüsiert beobachtete, dies sehr wohl tat.
"Capt´n", murmelte Feng und nickte ihr zu, als sie vor ihm stehen blieb und leicht den Blick hob, um ihn unter ihrer Hutkrempe hindurch noch in die Augen sehen zu können.
"Ist er da drinnen?", fragte sie als Antwort und Feng nickte abermals, nun seine verfaulten Zähne bei einem breiten Grinsen offenbarend.
"Gut." Lhea krempelte die Ärmel ihres Hemdes hoch und trat über die Schwelle.
Sofort schlug ihr ein widerlich süßlicher Pfeifenrauch entgegen, der das gesamte Innere der Bar in trübes Licht tauchte, welches von zahlreichen Kerzenhaltern ausging, in denen unterschiedlich lange Stummel schwach flackerten.
Im Vergleich zu anderen Kneipen und Bars ging es hier recht ruhig und gesittet zu, was aber an der betörenden Wirkung des Rauchs lag und nicht etwa am neu gewonnenen Anstand der Piraten.
In manchen Ecken hörte Lhea gedämpftes Kichern der Freudenmädchen, auf einige Tischen klimperten Münzen und ein einsamer Pirat saß heillos betrunken und in sich zusammen gesunken direkt neben der Tür und stimmte ein langsames, melanchonisches Lied an.
Den letzten Atmenzug halbwegs frischer Luft anhaltend blickte Lhea sich um und fand rasch was sie suchte.
Ein beleibter Mann lag halb auf den Tresen, die Arme unterm Kinn verschränkt, den Blick dumpf auf eine fast leere Flasche éspanischen Wein gerichtet.
Ihm gegenüber stützte sich der Wirt auf seine Faust und lauschte etwas gelangweilt dem Gemurmel seines Gastes.
"Ich hätte sie haben können, ich hätte sie alle haben können, das wusste sie ganz genau. Aber ich entschied mich für die See und nun bin ich ein versoffener Pirat, armselig, allein, ungeliebt...". Er rülpste laut und stieß mit dem Zeigefinger klingend gegen die beschlagene Flasche.
In Windeseile war Lhea hinter ihm und reckte das Kinn vor, bis sie mit den Lippen ganz dicht an seinem Ohr war.
"Du bist nicht einsam und ungeliebt, mein stolzer Carlos, Held der Weltmeere und Schmuck der éspanischen Krone."
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie Feng und Noah rechts und links von ihr Stellung nahmen, breit grinsend und voller Schadenfreude über ihren wehmütigen Navigator.
"Oh meine Anna Rosa, Rosita mein Röschen", seufzte er und schloss die Augen.
Langsam schlang Lhea die Arme von hinten um seinen Wanst und beugte sich noch näher. "Ich bin hier, Geliebter, der Traum deiner piratenheimgesuchten Nächte" raunte sie in sein Ohr und ließ die rechte Hand über seinen Rücken langsam nach oben zur Schulter streichen.
Er gab einen unartikulierten Laut von sich, der halb einem Stöhnen, halb einem Wimmern glich. "Röschen" murmelte und schnarchte kurz darauf.
Lhea richtete sich wieder auf und warf Noah und Feng einen Blick unter gehobenen Augenbrauen zu. Noah sah schon fast mitleidig aus, während Feng sich stumm, aber prächtig amüsierte. Mittlerweile hatte der seltsame Captain der sich als Traum der feuchten Nächte seines Navigators ausgab, schon einiges an Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der Wirt hatte sich schon vorsorglich entfernt.
Plötzlich sauste eine Hand auf die rechte Schulter des Navigators nieder und bohrte sich fast schmerzhaft hinter sein Schlüsselbein. Er schreckte hoch und stieß dabei die Weinflasche um, die über den Thresen rollte und dann klirrend vor die Füße des Wirt fiel.
"Zeit zum Aufwachen, Portuguese" knurrte Lhea und drückte noch etwas fester zu.
Portuguese fuhr herum und lief erst rot und dann kreidebleich an.
"I-ich... Capt´n, i-i-ich habe nur-".
"Ein Schlückchen getrunken. Wir legen morgen ab."
Mit diesen Worten wandte sie sich um und schritt zu Tür.
Im Rahmen blieb sie noch einmal kurz stehen.
"Tod den Éspaniern!" brüllte sie und stieß die Faust in die Luft.
"Aye!" brüllten die anwesenden Piraten in der Bar und auf der Straße und einer aus einem Fass neben der Tür eines Segelmachers und hoben ihre Gläser oder feuerten einen Schuss in die Luft ab.
Portuguese ließ sich schwer atmend wieder auf den Thresen fallen und wimmerte leise.

tbc: Tortuga -> Karibisches Meer
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:16 am

Alex
Atmen. Das war das Einzige, woran er sich noch erinnerte. Vorsichtig, doch vom grellen Sonnenlicht geblendet, öffnete er die Augen nur einen winzigen Spalt. Die Straßen waren ruhiger als letzte Nacht. Wann war er noch mal hier angekommen? Stöhnend stemmte er sich auf einen Ellenbogen und öffnete die Augen ein wenig mehr. Er hatte noch nie zuvor solch schreckliche Kopfschmerzen gehabt.
Er lag auf einem Barren Stroh, das mehr oder weniger verrottet war, aber das machte ihm nicht viel aus. Der Gestank betäubte nur minder den Geruch von Alkohol und kaltem Schweiß, der an ihm klebte. Es musste Wochen her sein, seit er Hispanola verlassen hatte.
Gleich nachdem er sich von Squinter und Lamignon getrennt hatte, war er zum Hafen geeilt um herauszufinden, ob jemand etwas von Mireille gehört hatte. Einige Männer sagten, dass sie sie gesehen hatten, doch ihrem Zustand nach zu urteilen, hatten sie nicht die geringste Ahnung, wovon sie sprachen. Angesichts der Tatsache allerdings, dass die einzige Insel im karibischen Meer mit der Mireille vertraut war, Tortuga war, brachte ihm den Anreiz, ein Schiff zu finden, dass dorthin aufbrach.
Es brauchte nicht viel, um einen Captain davon zu überzeugen, dass es für ihn definitiv besser wäre, wenn er Cysêth auf sein Schiff ließ. Unerkannt zu bleiben war nicht besonders gerfolgreich gewesen in den letzten Wochen, aber das machte ihm nicht viel aus. Die Menschen, die von seiner Zweitexistenz wussten, fürchteten ihn zu sehr, um ihn zu verraten. Er hatte alle seine Mittel dazu benutzt, um sie z überzeugen, dass es nicht die beste Idee ihres Lebens wäre, über ihn zu sprechen.
So wurde er also Crewmitglied der Santa Anna, die nur einen Tag später nach Tortuga aufbrach - auch daran war er nicht ganz unschuldig.
Nach einer relativ kurzen Überfahrt hatten sie in Tortuga angelegt und nachdem Cysêth dem Captain nahegelegt hatte, ihre kurze Begegnung besser für sich zu behalten, hatte er nach Opfern gesucht. Cy brauchte Geld, für Überfahrten, Rum und neue Kleidung, denn seine Alte war in den zurückliegenden Wochen weitestgehend zerschreddert worden; dazu kam, dass Lhea immer noch sein Hemd besaß.
Seit Wochen also hetzte er hinter dem kleinsten Zeichen von Mireille hinterher. Sie hatte ihn verletzt, aber sie gehörte nach wie vor zu seinem Rudel und als Leitwolf war er dafür verantwortlich, würde ihr etwas zustossen. Und das wollte er lieber nicht auf sich nehmen.
Nur einige wenige Männer oder Frauen hatten etwas von einer dunkelhäutigen Schönheit gehört, aber einige von ihnen hatten bereits angeboten, ihm einen hohen Preis für ihre Dienste zu zahlen. Die Männer wachten am Morgen mit mehr als Kopfschmerzen auf - manche wachten gar nicht mehr auf, da es sich herausgestellt hatte, dass sie relativ zerbrechlich waren.

Seine Tage waren nicht besonders spannend verlaufen; er konnte Mireilles Spuren folgen und er war sich sicher, dass sie sich irgendwo auf Tortuage verbarg, doch sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo genau sie sein könnte. Sie schien wie ein Schatten zu sein, der sich des Nachts an ihn heranschlich, doch wenn er versuchte, ihn einzufangen, griff er ins Leere. Möglicherweise war er auch einfach nur paranoid geworden.
Seit Wochen hatte er kein beläufiges Wort mehr mit jemandem gewechselt, auch wenn er des Nachts durchaus nicht alleine war. Mit einem hatten die Piraten Recht gehabt: die Frauen hier waren willig, einfach zu haben und einfach zu vergessen. Sie schenkten ihm ein paar Stunden willkommene Ablenkung, doch nicht mehr als das. Es war eine Erleichterung, nicht neben einer von ihnen aufwachen zu müssen, doch andererseits schmerzte es, wenn er daran dachte, für wie viele Monate es Mireille gewesen war, neben der er aufgewacht war.
Je länger er hier war, je mehr er drank, je mehr Frauen er Nachts besuchte, desto mehr verdrängte er die Erinnerungen an die Piraten und an die Trennung von Mireille. Nur nachts in seinen Träumen suchten sie ihn noch heim und plagten ihn wie dunkle Geister, die ihre Freuden daran hatten, ihn zu terrorisieren.

Die letzte Nacht war zuviel gewesen. Er wusste nicht einmal mehr, wann er angefangen hatte, Rum zu kaufen. Es musste gegen Mittag gewesen sein, nach einem besonders erfolglosen, hoffnungslosen und sinnlosem Tag. Er erinnerte sich noch an die Haarfarbe der Frau, die ihm Gesellschaft leistete - blond, Marie oder so war ihr Name. Sie hatte etwas anderes an sich.
Sie war nicht so leicht zu haben gewesen. Und sie war jünger als die anderen. 18, keinesfalls älter. Sie war nicht einmal besonders zu ihm hingezogen gewesen und war vollkommen nüchtern, als er sie traf. Nicht einmal ihre Kleidung deutete in geringster Weise darauf hin, dass sie auf Männer scharf war. Nun ja, der erste Eindruck konnte definitv trügen.
Danach erinnerte er sich an nichts mehr.

Stöhnend richtete er sich komplett auf und rieb sich über die Augen. Er dankte seinem Wolfsblut, dass er sich schnell regenerierte und der Alkohol nicht allzu lange in seinem Körper blieb; trotzdem, einen Kater hinterließ er trotzdem.
Seine Finger krallten sich in die kalte Steinmauer, als er sich hochzog und mehr oder minder stabil stand. Er sah sich um. Er befand sich in einer recht schmalen Gasse, die nur wenige Ausbuchtungen hatte; scheinbar war seine die größte Stelle, doch an einigen Ecken lagen Männer oder auch Frauen herum, begannen, sich zu regen. Einige atmeten nicht mehr. Dies schien nicht der Ort zu sein, an dem er sich aufhalten wollte.
Die Sonne schien erbarmunglos auf seinen Kopf herab und ließ ihn aufstöhnen. Es sollte um die Mittagszeit sein, es war unerträglich feucht.
Ein kurzes Wischen über die Augen, er hatte einige Streifen Fleisch übrig in dem Beutel der neben ihm lag. Gierig verschlang er zwei, drei und fühlte sich gleich stärker. Nicht besonders frisch, aber notdürftig gestärkt verfiel er in einen unstetigen Trab und trat aus der Gasse ins noch grellere Licht des Tages. Die Suche begann von neuem.
Er versuchte, eine Fährte aufzuspüren und lief gen Norden.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:17 am

Tobi
tbc aus: Hispaniola – Nordküste -> Tortuga - Tortuga
Der Graf fluchte, als er aus dem Fenster blickte. Das Wetter sah nicht gut aus, gar nicht gut. Ausgerechnet an diesem Tag musste ein Sturm gigantischen Ausmaßes die Karibik heimsuchen. Wenn auch hier über Tortuga nur die Ausläufer des Tiefdruckgebietes am Werk waren, die Geräuschkulisse war dennoch ohrenbetäubend. Der Sturm zerrte an den Fensterläden, als ob er sie einziehen und nicht mehr hergeben wollte. Der Graf wandte sich in dem spärlich mit Kerzen erleuchteten Raum dem Fenster zu. War dieses Geklapper normal? Oder zeugte es von der mangelhaften Bauweise der Häuser hier, die während eines Sturms als Zeichen des drohenden Einsturzes mit dem Rattern von Fenstern anfingen? Außerdem heulte der Wind, als ob er sich wegen irgendetwas beklagen wollte. Der Graf drehte sich wieder zu seinem Gesprächspartner. Die Abfahrt nach Aeropia würde sich verschieben, das war John J.J. Rogers bewusst. Nach einem kurzen Moment der Frustration über die verlorene Zeit beruhigte sich der Graf wieder. Was war schon ein Tag Verspätung wenn man so etwas Großartiges wie er im Bauche seiner Salamander liegen hatte? Er wurde langsam alt. Ob sie einen Tag später Aeropia erreichen würden war im Grunde nicht so wichtig. Es würde eine Veränderung geben. In Aeropia würde er sich zur Ruhe setzen, ungeachtet der Tatsache, dass Piraten normalerweise bis zu ihrem Tode ihrem Schiff und ihrer Crew als Captain dienten. Der Graf war sich seines Piratendaseins müde, vor allem jetzt, wo er einen treuen Kameraden hatte aussetzen müssen, weil er sich selbst bereichern wollte. Auch für den Grafen war das eine neue Erfahrung gewesen. Jedenfalls würde er aufhören. Und darauf freute er sich insgeheim schon seit längerer Zeit. Seiner Mannschaft würde er es aber noch sagen müssen.
Bezüglich der Frage, wer sein Nachfolger als Kapitän werden sollte, war er hier in diesem Haus, das oberhalb des Hafens auf Tortuga lag. Sein Gesprächspartner war ein alter Freund, auch ein alter Bekannter seiner Mannschaft – es zeichnete sich aus, merkte der Graf, wenn man anderen während der Zeit Gefallen getan hatte. So waren ihm einige noch etwas schuldig -, den er während seines Besuches überredet hatte, mit an Bord zu kommen. Er sollte nach seinem Rückzug zunächst ein provisorischer Captain sein, bis sich sein Nachfolger aus der Mannschaft herauskristallisiert hatte. Das besprach Rogers mit seinem Gegenüber unter Kerzenschein. Gegen Abend, der dunkler und unheimlicher wirkte als gewöhnlich, gab der Graf seinem Gesprächspartner die Hand, beide lächelten. Dann kämpften sie sich schnell in ihre Jacken und verließen die Wärme des behaglichen Hauses.

Der Wind und der Lärm, der draußen herrschte, raubten dem Grafen den Atem. War es im Haus schon laut gewesen, so war es hier ohrenbetäubend. Der Wind trug allerlei undefinierbare Objekte mit. Außerdem peitschte er die tieffliegenden Wolken vor sich her, die den abnehmenden Mond völlig verdeckten. Es regnete nicht, nur einige Tropfen verließen den schützenden Raum der Wolken. Der Graf und sein Kumpane zogen ihre Schultern hoch und schritten in schnellem Tempo in Richtung des Hafens.
Etwas später am Abend hatten die Beiden die Überfahrt mit dem kleinen Beiboot zur Salamander geschafft. Auch wenn der Wind sehr stark war, der Hafen lag immerhin so geschützt, dass es schon schlimmer kommen musste, um das Wasser hier in gefährlichem Maße zu bewegen. Sie hatten nicht viel miteinander geredet, einerseits weil sie sich auch so verstanden und andererseits, weil es sowieso viel zu laut war. Der Graf nutzte die Zeit, um sich auf seine Rede vor seiner Crew vorzubereiten. Anfangs wollte er – auch wenn es allen bewusst war – die Abfahrt auf den morgigen Tag verschieben, sofern sich das Wetter bis dahin verbessert hatte. Dann würde er seinen Abschied bekannt geben. Er wollte nicht als Held bis zu seinem letzten Atemzug auf der Salamander kämpfen, sondern noch einen ruhigen Lebensabend verleben. Dann wollte John J.J. Rogers auch noch auf die wahren Schätze eingehen, die Bill während der Fahrt besorgt hatte und an denen er sich bereichern wollte. Trotz seines Rückzuges sollte ein letztes Mal die Beute in Aeropia aufgeteilt werden. Und diesmal gab es – der letzten Fahrt des Captains würdig – quantitativ nicht viel, dafür aber sehr Wertvolles zu teilen.
Nachdem einige Zeit vergangen war, traf sich die Mannschaft im Speisesaal der Salamander. Der Graf hob die Hand, ein Zeichen, dass er etwas zu sagen hatte. In alter Manier stand er stöhnend auf und bewegte sich auf eine Position zu, wo er von allen wahrgenommen werden konnte. Dann begann er - wobei er seinem Namen alle Ehre machte - in wohlgewählten Worten mit der Ansprache.

An diesem Abend – wie an jedem Abend vor einer langen Fahrt – zog sich die Crew früh zurück. Die Abfahrt würde anstrengend werden, vor allem wenn der Wind nicht nachlassen würde. Da half es nur, ausgeschlafen zu sein.

Gegen Mitternacht nahm der Sturm ein wenig zu. Gleichzeitig wurden die Geräusche lauter: das Meer, dass rauschte, ja schon fast brauste. An Land die Palmen, deren Stämme sich im Wind ächzend bogen, deren Kronen der harten Salzluft schutzlos ausgeliefert waren. Und das Pfeifen im Ohr, verursacht durch den starken Wind; dieses Pfeifen ließ einen daran zweifeln, dass es jemals Oben und Unten, Hell oder Dunkel, Sonnen- oder Mondschein auf dieser Welt gegeben hatte, dieses Pfeifen raubte einem die Sicht und den Atem. Bill sah absolut gar nichts. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit er die Verheißung verlassen hatte. Er wusste nicht wirklich genau, wo er war. Zwar hatte er die Karte vor seinem Verschwinden ausgiebig studiert – und er hatte damals bemerkt, dass der Weg im Grunde sehr leicht zu finden war. Bei dem „leicht zu finden“ hatte er jedoch die Tücken des Wetters außer Acht gelassen – und nun war er orientierungslos, wie vor einigen Tagen am Strand. Bill hatte Sand in den Augen – oder war es Salz? – und es tat ihm weh, außerdem war es außerordentlich kalt. Warum mussten sich alle immer an ihm rächen? Warum musste ausgerechnet er an einem Strand im Nirgendwo ausgesetzt werden? Warum attackierten nur ihn die ganzen Insekten der Karibik? Hatten sie sich gegen ihn verbündet? Warum war jetzt so ein Mistwetter? Und warum fand er den Weg nicht, der eigentlich so offensichtlich hätte sein müssen, dass selbst der letzte Trottel ihn gefunden hätte? Bill war verzweifelt. Gerade er musste all das Schlechte dieser Welt anziehen wie die Sonne die Erde, oder die Schwerkraft die Menschen. Wo war er bloß? Hier würde er nun also sterben, so heldenhaft wie ein Faultier, und die Nachwelt würde ihn vergessen, keine Plätze oder Straßen ehrfurchtsvoll nach ihm benennen oder sogar Statuen von ihm aufstellen. Das hatte er verwirkt, indem er die Orientierung verloren hatte und an einer Überdosis an Sand oder Salz – was machte das schon für einen Unterschied? – in den Augen, qualvoll verschied. Dann hätte ich es der Welt wirklich gezeigt, dachte sich Bill sarkastisch, während er den Kopf hin und her schwenkte. An seinem Hals hing ein Stoffbeutel, der im Sturm flatterte und hart wie Stein war. Wenn ihn hier das letzte Quäntchen Energie verließ – viel besaß er nicht mehr – würde er zugrunde gehen ohne dass er irgendwem oder sich selbst gezeigt hätte, was in ihm steckte. Würde er weiter kämpfen, könnte er den Grafen überraschen. Die Leute würden sagen: „Mensch, das ist Bill? Hat der nicht den Grafen, du weißt schon, diesen Kapitän…?“ Und irgendwer anders würde flüsternd antworten, aus Furcht: „…genau der!“ Bill konnte jetzt nicht schlappmachen. Den Versuch war er sich schuldig.
Bill wandte sich wieder nach vorne. Die Lider auf halbmast, erkannte er nur schemenhaft die zerzauste Umwelt. Hier musste doch irgendwo Tortuga sein? Er hustete und blieb stehen. Die Beutelkonstruktion an seinem Hals war eine etwas unglückliche Methode den Beutel zu transportieren, eine andere Möglichkeit war ihm jedoch nicht eingefallen. Solche, ihm im Vorfeld zunächst als unwichtig erscheinenden Details bedachte er selten, Ärger und Frustration waren die Folge. Jetzt riss dieser verdammte Beutel an ihm, als ob er Bill erwürgen wollte; und wenn, durch seltsame Luftentwicklung oder Turbulenzen verursacht, der Beutel ihm an seinen Schädel schlug, durchzuckte ihn jedes Mal ein Schmerz, den er mit Adjektiven wie fallbeilartig beschreiben würde. Außerdem verdeckte ihm der Beutel wiederholt die Sicht, was aber nicht viel ausmachte, da auch ohne Beutel nicht viel zu sehen war.

Bill erreichte schließlich Tortuga ohne Zwischenfälle. Hatte er sich also doch nicht verirrt. Ohne sich um die umherirrenden Gestalten zu kümmern – die einen suchten Schutz und Wärme in Spelunken, andere kehrten zu ihren Schiffen zurück und wiederum andere suchten irgendein Plätzchen zum übernachten – machte Bill sich auf die Suche nach der Salamander. Er hoffte, dass wenigstens jetzt das Glück ihm hold sein würde. Er kannte nur einen Platz, wo sie liegen könnte, und der lag etwas abseits. Der Graf und sein Verfolgungswahn, in jedem sah er einen Spion, einen Dieb. Bill schüttelte den Kopf. Er schritt auf der Hafenmauer soweit von den Menschen weg wie möglich. Dann setzte er sich hin und dachte nach. Seine Füße baumelten über dem trüben Hafenwasser, das dank der windgeschützten Lage ruhig vor sich hin plätscherte und nach Tod roch. Er hatte die Slamander bemerkt, sie lag dort, kein Licht war zu sehen. Bill jauchzte innerlich. Doch dann kemen ihm auch wieder Zweifel. Streng dich an, rief jemand in Bills Inneren. Stell dir vor, das ist ein ganz normales Schiff. Beweg dich rüber, fall nicht auf und verschwinde wieder, ohne dass es jemand mitbekommt. Du kannst das.
Bill nickte, stand auf und musste erst mal einem Fass von der Größe einer Kuh ausweichen, das sich bei dem Sturm anscheinend losgerissen hatte und sich nun geräuschintensiv seinen Weg durch den Hafen bahnte. Aus der Ferne drangen kaum hörbar Lachen zu ihm durch. Gerade ging ein Mann, bessergesagt ein riesiger Kerl, mit zerzaustem Haar etwas entfernt an ihm vorbei, er blickte ununterbrochen auf den Boden und brabbelte etwas vor sich hin – etwa in postkeutalem Hochmut? Vielleicht war der Riese auch einfach nur betrunken. Eine Wolke von Alkoholduft verfolgte den Riesen. Bill wartete, bis der Kerl verschwunden war und atmete auf. Er selbst machte sicherlich keinen so angsteinflößenden Eindruck.
Dann blickte er wieder in Richtung der Salamander. Es gab kein Zurück mehr. Jetzt würde er seinem Plan folgen, den er die ganze Zeit entwickelt hatte. Seit er an dem Strand aufgewacht war. Als Bill sich unbeobachtet fühlte, rannte er auf die Hafenmauer zu und sprang ab. Seine Schritte hallten wieder, dann war nur noch der Wind zu hören.


Die stürmische Nacht brüllte über dem Hafen Tortugas. Normalerweise, wenn das Wetter ruhiger war, ließen sich hier draußen der Trubel, das Gebrüll und die Schreie Betrunkener vernehmen – heute war es nicht so. Dieser Orkan nahm alles mit sich, jedes Geräusch und alles, das nicht vorher befestigt worden war. Bill erinnerte sich, wie er das erste Mal einen solchen Sturm erlebt hatte. Er war damals ein frischer Fisch gewesen, ein Neuling, als der Taifun über sie hereinbrach, und Bill, der Todesängste durchlitt, hatte sich erst mal übergeben müssen. Andere Männer hatten an vorderster Front gekämpft, hatten sich um Segel, Kurs und Windrichtung gekümmert, während er selbst für die Mannschaft so hilfreich wie Beulenpest gewesen war. Ihn erschauerte es bei dem Gedanken. Die Todesängste kamen immer wieder, aber nicht im Moment, wo Bill auf dem Weg zur Salamander war. Der Stoffbeutel an seinem Hals würgte ihn immer noch. Und dann – als wäre sie plötzlich vom Himmel gefallen – erschien vor ihm die markante Form der Salamander. Bill hätte gerne gesagt, sie hätte sich verändert, wäre ihm fremd geworden, aber sie sah aus wie immer. Mit nur einem Unterschied, und zwar, dass an Bord ein Verräter weilte. Hass verteilte sich im Innern Bills, suchte sich einen Weg in jede Position seines Körpers wie ein frisch entsprungener Fluss, der ohne ein vorhandenes Flussbett seinen Weg ins Tal findet. Hass auf den Captain, der für ihn immer wie ein Vater gewesen war. Dem er vertraut hatte. Ein Captain, von dem er geglaubt hatte, verstanden zu werden. Und dann wachte er eines Tages am Strand einer dreckigen Küste voller dreckiger Insekten auf, ohne Nahrung und Getränk, ohne irgendetwas. Es war, als hätte jemand einen Amboss auf ihn geworfen, als er gefühlt hatte, wie verloren er auf einmal gewesen war. Missverstanden hatte Bill sich gefühlt. Was hatte er denn ohne die Piraterie, ohne die Salamander? Nichts. Dank des Grafen.
Bill warf einen Blick auf die Slamander. Je näher er ihr kam, desto mehr Gefühle wallten sich auf. Wie er das erste Mal wirkliche Freiheit gespürt hatte, als er, der jahrelang an Land gelebt hatte, auf der Salamander den Hafen verließ, der hinter ihm immer kleiner wurde und schließlich am Horizont verschwand. Das große, offene Meer. Der erste Beutezug, der erste Erfolg. Der erste Sturm. Gemeinsames Lachen an Deck, im Sonnenuntergang, an Tagen, wo kein Feind und keine Küste in der Nähe waren. Gemeinsames Fluchen in Situationen, wo die Wellen größer waren als manche Hafenmauern und der Wind stärker war als mancher Eisenbieger. Das war für ihn ein Zuhause gewesen. Und jetzt war Bill hier, hatte nichts als Rache im Kopf. Verstand es immer noch nicht.
Sie lag ruhig da. Geschützt in dem berüchtigten Hafenwasser, das im Endstadium der Gärung zu sein schien und den Namen Wasser nichtmehr verdiente. Es brannte kein Licht mehr. Das bedeutete, so schloss Bill, dass die Salamander am morgigen Tage den Hafen verlassen würde. Ein Glück, dann schliefen die meisten schon. Dann würde er noch weniger auffallen. Er beobachtete sie aus jeder Richtung und schließlich schien der richtige Moment gekommen zu sein.

Die Schritte, die wenig später im Bauche der Salamander zu hören waren, hatten ungefähr die Lautstärke einer mittelgroßen Fliege. Bill wusste, wie er es anstellen musste. Und er wusste auch, welchen Weg er einzuschlagen hatte. Wenig später stoppten die Schritte vor dem Schlafgemach des Grafen. Er erinnerte sich, dass der Graf es Schlafgemach nannte, weil es sich dann wie in einem Palast anhörte. Schön für ihn. Dann geh ich mal in sein Schlafgemach. In seine Stube. Er lauschte an der Tür, die eher einer Pforte glich. War das Eiche? Der Graf war ein Eichenmann. Alles musste aus Eiche sein, Eiche hier und Eiche dort. Wie dem auch sei. Der Sturm hörte sich weit entfernt an. Und dann, als ob die Zeit plötzlich langsamer fortzuschreiten schien, öffnete Bill langsam die Pfortentür. Und schlüpfte einen Moment später in das Gemach. Das Herz pochte. Ein falscher Tritt, ein Laut und der Graf würde aufwachen, und wer weiß, was er dann mit ihm anstellen würde. Der Raum – das Schlafgemach – lag im Dunkeln, dank der Wolken, die sich wie Watte im Sturm um den Mond gelegt hatten. Rechts, direkt neben der Pforte, stand eine alte Kommode, aus Eichenholz natürlich – des Grafen Lieblingsstück. Hier behielt er die Karten- und andere kleine Schätze auf. Und genau darauf hatte Bill es abgesehen. Genauso langsam wie er die Pforte geöffnet hatte, ging er nun bei der Kommode vor. Die dritte Schublade von unten, das wusste Bill noch. Und auch hier hatte er Glück, da waren sie! All die Karten von seinem letzten Beutezug, und dazwischen, als ob er unwichtig gewesen wäre, der wahre Schatz. Klein, leicht, aber unglaublich wertvoll. Schade für den Grafen, schade für die Mannschaft. Er würde das alles mitnehmen müssen, als Entschädigung für sein unerträgliches Leid, dass ihm der Graf und seine Crew aufgezwungen hatten. Bill öffnete seinen Stoffbeutel – endlch war der auch mal zu gebrauchen! – und griff hinein. Ein kleiner Zettel erschien in seiner rechten Hand – die nun ein klein wenig zitterte. Dieser Zettel, es standen nur ein paar Worte auf ihm, legte Bill auf die Kommode. Und anschließend kamen die Schätze aus Schublade drei in den Stoffbeutel. Ein Blick durch das Gemach – und dann drehte Bill sich um, schlich zurück zur Eichentür und schloss diese wieder.
Was für ein Spaziergang. Er beruhigte sich wieder. Doch dann – als er die Treppe erreichte, die auf das Deck führte, machte Bill einen schwerwiegenden Fehler. Er übersah den Eimer, den jemand achtlos dort auf dem Boden hatte übernachten lassen, und Bill, in Gedanken schon woanders, trat, da er langsam schritt, zwar nicht mit ganzer Wucht gegen diesen, aber immer noch so stark, dass der Eimer polternd durch die Gegend rollte. Verdammt! Selbst ein fast Tauber hätte dieses Getöse gehört! Spätestens jetzt musste die Mannschaft seinen Aufenthalt hier mitbekommen haben! Bill blickte sich hastig um, das Herz explodierte in seiner Brust. Hinter ihm waren schon entfernt Stimmen zu hören. Eine halbe Sekunde später wurde hinter ihm eine Tür aufgerissen. Rufe hallten durch den Gang, während Bill noch immer an der Treppe stand und kein Anzeichen des Verständnisses von sich gab. Und dann – Bill konnte es nicht fassen. Welcher Bauerntölpel muss denn bitte hier seinen Eimer stehen lassen? – dann rannte Bill die Treppe hoch, wurde auf dem Deck von dem Sturm begrüßt und blickte sich nach rechts und links um. Seine Verfolger hatten nun die Treppe erreicht. Hatten sie mit ihm gerechnet, war das eine Falle? Bill dachte nicht viel, nur der Fluchtinstinkt meldete sich. Bill sprintete auf die Reling zu und stolperte über ein Tau, das am Boden lag. Natürlich, geschickt wie immer. Krachend rutschte er über das Deck, er war sich sicher, alle Knochen gebrochen zu haben, er würde gefasst, sein kurzes Leben durch einen Schuss beendet werden. Doch er rappelte sich wieder auf, drehte sich nicht zu seinen Verfolgern um, zwei Schritte später war an der Reling und nach einem Sprung auf ihr, und er drückte sich mit solcher Wucht ab, wie er es noch nie getan hatte. Seine Augen, normalerweise blaugrüner Farbe, begannen zu leuchten, wurden gelblich, verengten sich. Innerhalb eines Wimpernschlages wurde Bills Kopf weiß, veränderte sich in seiner Form, glich in keiner Weise mehr Bills menschlichem Gesicht. Sein Oberkörper wurde schwarz, seine Beine kürzer. Seine Arme färbten sich ebenfalls schwarz, Federn bildeten sich. Und bevor Bill auf die Wasseroberfläche aufschlug bereitete er riesige Flügel aus - das Geräusch von Luftverdrängung war selbst noch auf der Salamander zu hören – und dann konnte man einen Adler, einen Weißkopfseeadler über dem trüben Hafenwasser hinüber jagen sehen, mit einer schier unglaublichen Geschwindigkeit und nur knapp über der Wasseroberfläche. Dort wo man den Hals vermuten würde hing ein Stoffbeutel, der anscheinend nicht leer war. Er schlackerte wild hin und her. Ein unbeteiligter Zuschauer, der bei diesem Schauspiel zugesehen hätte, würde glauben, er hätte zu viel getrunken oder hätte einen Tagtraum gehabt. Einige Momente später stand Bill wieder als Mensch auf dem Kai, wo er vor etwa 30 Minuten zur Salamander aufgebrochen war. Er warf einen durchdringenden Blick in ihre Richtung. Wann der Graf wohl den Zettel lesen würde, den er dagelassen hatte? Sein Herz schlug einen schnellen Rhythmus, und er konnte sich ein Lächeln, das zum Grinsen wurde, nicht verkneifen. Was war er nicht manchmal für ein Trottel.


Mit einem gleichbleibenden, schnellen Rhythmus tauchten die Paddel in das trübe Wasser und gaben dem kleinen Holzboot den nötigen Schub. Es dauerte nicht lange, da war auch schon die Hafenmauer in Sicht. Das Ende der Nacht war dunkel, die Sonne schien noch ein Gerücht zu sein, der Wind war schwächer geworden. Der Graf, einziger Insasse des kleinen Bötchens, war schlecht gelaunt – nein, er war sauer, sehr sauer, fast schon am Kochen -, und so pullte er mit all der überschüssigen Kraft durch das Hafenbecken. Er konnte es nicht wahrhaben. Die Gedanken an das, was vor wenigen Stunden geschehen war, ließen sein Herz zusammenkrampfen und sein Paddel jedes Mal energischer in das Wasser tauchen. Das dumpfe Gefühl des Versagens steckte in seiner Kehle wie der Dolch eines Meuchelmörders. Er hatte versagt, auf ganzer Linie. Vom Anbeginn der Schöpfung bis heute. Womit hatte er das verdient, so kurz vor dem Ruhestand? Warum musste unbedingt Bill, William Vane, der Verräter, wieder auftauchen und seine Pläne stehlen? Der Graf könnte kotzen. Auf der Stelle. Dieser Tölpel hatte ihn vor der ganzen Mannschaft bloßgestellt, blamiert. In sein Schlafgemach hatte er eingebrochen, als ob er dort wohnen würde, und er selbst hatte geschlafen wie eine Leiche. Das würde Rache geben. Wenigstens hatte auch Bill einen Fehler gemacht, als er gegen den Eimer gelaufen war. Aber weil er vorher angeordnet hatte, alle mögen diese Nacht früh schlafen, hatte das natürlich keiner gehört. Bis auf seinen alten Freund, der schnell reagiert hatte, aber wohl zu alt für das Verfolgen von Einbrechern und Verrätern war. Es hatte großen Trubel gegeben, als nach und nach sich die Crew zusammenfand und erfahren hatte, was geschehen war. Ihm machten sie natürlich keine Vorwürfe, das gehörte sich allein des Anstands wegen so, aber er bemerkte die Blicke ihrer dreckigen Augen, ihre Gesichtsbewegungen, ihre Geräusche. Sie machten ihn dafür verantwortlich, dass der Schatz weg war. Von Bill entführt. Hätte er damit rechnen müssen, dass Bill wieder kommt? Er hatte gehandelt, wie jeder andere Captain mit Gefühl von Ehre ebenfalls getan hätte. Die Erkenntnis war bitter, dass er Bill in seinem Überlebenswillen unterschätzt hatte. Ein unverzeihlicher Fehler.
Der Graf hatte nicht gewusst, wie er reagieren sollte – bis er den Zettel auf seiner Eichenkommode gefunden hatte. Darauf stand:

Graf
Allein
Morgengrauen
Pointe Tête de Chien
Als ob er die Post wäre. Als ob man bei ihm Briefe lagern könnte. Aber er musste darauf eingehen, weil er unbedingt diesen Schatz zurückbrauchte um die Ehre wiederzurückzugewinnen und zum anderen, weil er zeigen wollte, dass er den Kodex der Piraten beachtete.
Der Graf rammte das Paddel in die Hafenbrühe, die nach Friedhof roch, und wusste, dass er zum Mord fähig war. Im Innern dankte er Bill dafür, dass es noch zu einem letzten Treffen kommen würde. Dass nur er überstehen würde. Ob Bill betteln würde, winseln um sein Leben? Mit ihm hätte er sich besser nicht eingelassen. Das würde Bill erfahren müssen.
Er ließ seine Nackengelenke knacken, als er aus dem Bötchen stieg.




Bill peitschte der Wind ins Gesicht. Er konnte etwas schmecken – war das Salz? Möwenkot? -, und die Augen hatte er halb geschlossen. Er war früh dran, zu früh, dennoch musste er zugeben, dass er ruhig war und keinerlei Gedanken an einen negativen Ausgang der Zusammenkunft verschwendete. Er stand am nördlichsten Punkt Tortugas, dem Pointe Tête de Chien, schaute auf den aufgewühlten Ozean, der nur aus Brausen und Schaumkronen zu bestehen schien – und kam sich vor wie ein Held. Wenn sein Vater ihm früher immer beim Einschlafen von echten Männern erzählt hatte, Helden, die Seeungeheuer, Piratenkapitäne und Cholera im Alleingang überlebt hatten, standen diese Helden nach bestandener Prüfung auch auf einer hohen Klippe am Meer. Das war der Ausdruck des Sieges gewesen. Der Wind, das Wasser, immer in Aufruhr.
Bill dachte zurück an den Kapereinsatz auf seinem eigenen Schiff. Nur ein Held wäre in der Lage gewesen, in das Schlafgemach des Captains zu gelangen, den Schatz zu stehlen und wieder zu verschwinden, ohne von der Mannschaft aufgegriffen und zum Grund des Meeres geschickt zu werden. Er war aufgefallen, ja, aber wer stellte auch einen Eimer direkt vor die Treppe? Außerdem war ihm das gleich, solange er sich am Grafen dafür Rächen könnte, dass dieser ihn ohne Grund an Land gesetzt hatte. Gut für ihn, Bill, dass er das überlebt hatte, gut für die Gerechtigkeit.
Wie er so auf den Ozean blickte, bemerkte er, wie sehr er die See liebte. Die immer fortlaufende Bewegung der Wassermassen und -Berge, das Auf und Ab, die Geräusche vom Aufprall mit der Küste. Dazu der Wind, der einem ununterbrochen ins Gesicht weht, der Salz, Sand und anderes mit sich führt, das zu klein und zu leicht ist, der Wind, der seine Geschichten erzählt, wenn man genau hinhört. Der Wind, das einzig wichtige.

Zweige hingen ihm in der Dunkelheit Tortugas im Weg, sie waren unbarmherzig, wollten ihn am Weitergehen hindern. Der Graf sah nichts – er war praktisch blind – und bekam mit einer mathematischen Regelmäßigkeit Äste mit dem Durchmesser des Hauptmastes der Salamander ins Gesicht, auf den Oberkörper und Beine geschlagen, dass er mehrmals den Boden unter den Füßen verlor und im Dreck landete. Das war nichts für ihn, für sein hohes Alter - er könnte sich leicht die Knochen brechen und wer würde ihn hier schon hören? -, doch er lief weiter nach Norden. Das war kein Weg, wie dieser Irre in Tortuga gesagt hatte, den er nach dem Weg gefragt hatte, sondern ein Trampelpfad, der so komfortabel wie der Dschungel am Amazonas zu begehen war. Er fühlte sich dreckig, hatte Durst und war müde. Der noch immer starke Wind drang nicht bis in die unteren Schichten des Gewuchers ein, sondern ließ nur die Kronen durchschütteln. Er taumelte weiter, ein Schritt folgte dem nächsten, ohne sein Zutun.
Außerdem konnte es nicht mehr weit sein. War das nicht das Meer dahinten? Der Graf konnte es hören. Hier musste irgendwo dieser Ort sein, wo er hin sollte, wo er hin wollte, wo er hin musste, wo es Vergeltung geben würde. Der Graf griff an seinen Gürtel, wo etwa sechs kleine, aber scharfe Wurfdolche steckten, die er für den Fall mitgenommen hatte, wenn Bill sich nicht freiwillig ergeben wollte. Er tätschelte sie sanft und grinste in sich hinein.




Bill hörte ihn kommen, denn solche Geräusche konnten nur Menschen verursachen, und es war der Graf, da war Bill sich sicher, denn wer würde schon morgens bei diesem Wetter einen Spaziergang in dieser Gegend machen? Bill stand immer noch auf der Felsplattform, diesmal jedoch dem Meer abgewannt. Der Graf würde ihn frühzeitig sehen können, das sollte er auch. Er wusste was zu tun war.
Als der Graf schließlich das Plateau erreichte, bemerkte Bill, wie schrecklich er aussah. Er schien älter geworden zu sein. Magerer, jedenfalls was das Gesicht betraf. Aber vielleicht war das auch nur die Dunkelheit. Der tosende Wind, der Ozean, eine Felsplattform – ideal für einen Kampf Mann gegen Mann. Hier würde keiner stören, hier würde es keine Tricks geben, hier würde der Stärkere gewinnen.
Bill stand da – groß und schlank, die großen Augen, in denen man so viele Farben finden konnte, wenn man danach suchte, auf den Grafen gerichtet. Der Graf stand ihm gegenüber – eher klein und breit, die wenigen grauen Haare dem kräftigen Seewind schutzlos ausgeliefert. Möwen kreischten und schrien, als ob sie etwas ahnen würden, als ob sie es verhindern wollten. Weder Bill noch der Graf sagten ein Wort, als sie sich auf dem Plateau gegenüberstanden. Keiner von ihnen bewegte sich und es hatte den Anschein, als ob die beiden durch einen Zauber in Statuen verwandelt worden seien. Nur ihre Blicke trafen sich, hasserfüllte Blicke. Wie lange die beiden sich dort gegenüberstanden und anstarrten war ungewiss. Plötzlich, ohne dass es dafür einen Auslöser zu geben schien, ging es los.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:17 am

Alex
Seine Suche hatte ein weiteres Mal in die Leere geführt. Cysêth fühlte sich leer, einsam und, auch wenn er das lieber nicht zugeben wollte, er wurde trauriger und trauriger. Sollte Mireille etwas passieren, war er verantwortlich. Weil er sie verletzt hatte. Er war der erste, den man dafür verantwortlich machen konnte.
Die Sonne ging langsam unter und er stand am Pier und blickte aufs Meer hinaus. Vielleicht hatte sie schon längst ein Schiff zurück in die Heimat genommen. Oder folgte sie seinem Traum und reiste nach Aeropia? Vielleicht war sie auch immer noch hier? Cysêth schüttelte den Kopf. Was auch immer es war, er konnte sie nicht finden, und er hatte einige Zeit nach ihr gesucht.
Er stank. Nach Alkohol, Schweiß, Dreck... wann war das letzte Mal gewesen, dass er im Meer geschwommen war? Auf den Ozean blickend wusste er, dass dies gewiss nicht der beste Ort war, um sauber zu werden. Eher würde noch mehr stinken. Er hörte, fühlte jemanden hinter sich. Die Nervosität dieser Person war beinahe schon körperlich fühlbar. Er drehte sich erst um als der Unbekannte schon verschwunden war, auf dem Weg zu einem Schiff das im Hafen lag. Neugier erwachte in ihm. Er duckte sich hinter die kleine Bricksteinmauer und wartete. Es dauerte nicht viel länger als eine halbe Stunde, bis ein Adler über den Ozean flog und nur wenige Meter von ihm entfernt landete und sich zurück in einen Menschen verwandelte.
Ein Gestaltwandler, schoss ihm durch den Kopf und sofort musste er an Lhea denken, doch er verdrängte den Gedanken sehr schnell. Der Unbekannte wendete sich ihm zu, doch es schien nicht so, als würde er ihn erkennen. Dann begann er, zu laufen. Ein Knurren kam aus Csêths Kehle. Es war Nacht, er würde als schwarzer Wolf weit weniger auffällig sein als als Mensch. Besonders wenn man die Richtung beachtete, in die der Fremde nun lief. Dennoch wartete er einige Minuten. Es würde nicht sehr schwer werden, ihm zu folgen, beachtete man den Geruch, den er mit sich schleppte.
Nur ein paar wenige Minuten später tauchte ein anderer Mann auf. Deutlich runder um den Gürtelbereich, die wenigen grauen Haare die er noch besaß wogten leicht im Wind. Doch trotz seines Alters schien er noch deutlich in der Lage zu sein, zu rennen. Denn er folgte dem Unbekannten.
Cysêth runzelte die Stirn. Was ging hier bloß vor? Jetzt wusste er es wirklich zu schätzen, dass er den Alkohol heute vermieden hatte. Seine Gedanken nahmen klarere Gestalt an als in den letzten Tagen. Oder waren es Wochen gewesen?
So leise wie möglich setzte er den beiden nach, lief in gutem Abstand, doch der Geruch war einfach aufzuspüren. Als der etwas breitete Mann den Wald betrat, erlaubte er sich, zu sprinten und hatte den Wald schon bald hinter sich gebracht. Dennoch verließ er nicht das schützende Unterholz, sondern legte sich flach hin und beobachtete den ersten Mann, der am Rande der Klippen stand und aufs Meer hinaus sah.
Nur einige wenige Minuten später kam der zweite Mann aus dem Unterholz und schnaufte. Er wunderte sich, ob er auch ein Pirat war. Wenn ja, war er beträchlich aus der Form.
Die beiden warfen sich feindliche Blicke zu und ein kalter Schauer ließ Cysêth über den Rücken. Einen Todeskampf hatte er nicht bezeugen wollen. Langsam richtete er sich auf und verwandelte sich zurück in seine menschliche Gestalt, bevor er aus dem Unterholz trat. Nur ein dunkler Schatten gegen die Zweige, dennoch sichtbar, denn der Mond reflektierte sich auf der Klinge, die an seiner Hüfte hing. Still beobachtete er die beiden, jederzeit bereit, einzugreifen. Heute würde es keine Toten geben.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:17 am

Tobi
Wer Gewalt, Mord und Tod erwartet hatte – der irrte. Hier ging es um nichts von alledem. Nachdem sich der Graf und Bill mit Mordlust anstarrten, solange, als wäre die Zeit stehen geblieben, begannen plötzlich Bills Mundwinkel zu zucken. Und dann rannte er auf den Grafen zu, stach jedoch nicht zu. Die Augen des Grafen durchmaßen schnellen Schritts das Ausdrucksspektrum von hasserfüllt zu liebevoll. Eine halbe Sekunde später waren die beiden miteinander verbunden, verbunden durch eine Umarmung. Keine schlaffe Umarmung, keine, die man unter Freunden austauscht, es war eine, die eine engere Verbindung ausdrückte. Der Mond hätte scheinen sollen, tat es aber nicht, denn der Mond hielt sich nicht an Zeitpläne. Genauso wenig waren Möwen und andere Seevögel zu hören; die felsige Küste bot ihnen ausreichend Platz zum nächtigen. Nur das Meer brauste, immer noch, aber man nahm es kaum noch wahr. Und dort, am nördlichsten Punkt Tortugas, standen der Kapitän der Slamander und sein ehemaliges Crewmitglied und umarmten sich. Nach längerer Zeit – die ausgereicht hätte, um die heilige Schrift komplett übersetzen zu können – flüsterte Bill ein Wort in die Ohren des Grafen: „Vater!“ Der Graf schob Bill mit den Händen fort und hielt ihn an den Schultern. „Du hast es tatsächlich geschafft“ – der Graf schüttelte grinsend den Kopf – „ich muss gesteh’n, ich hab‘ zeitweise an dir gezweifelt, Bill…aber setzen wir uns erstmal, du musstest den Grafen ja unbedingt durch den halben Wald jagen.“ Bill und der Graf setzten sich auf den Boden, ohne die Gestalt zu bemerken, die kurzzeitig das schützende Unterholz verlassen hatte und dort nun langsam wieder verschwand.
Bill lachte. „Du beklagst dich? Du willst dich beklagen? Beim nächsten Mal setz‘ ich dich an ’nem Strand aus. Es ist nämlich echt witzig, ausgesetzt zu werden, macht wirklich Spaß. Weißt du, ich bin da aufgewacht, und hatte keinen blassen Schimmer, in welche Richtung ich gehen musste. Absolut keinen. Ich weiß ja nicht, womit du mich hast betäuben lassen, aber ich war überzeugt davon, dass ich Tod wäre. Tod, nicht mehr beseelt. Achja, du hast mir außerdem nichts zu trinken und zu essen dagelassen, nichts, gar nichts hatte ich. Die Verheißung habe ich trotzdem noch gefunden, nachdem ich mich besinnt hatte, habe ich doch noch den Weg gefunden, und ja, du hattest Recht, sie lag wirklich in der Bucht.“ Irgendwas raschelte im Gebüsch - ein Tier, das aufwachte? „Ja, dann hab ich auf den Weg zur Bucht noch eine Dame gerettet, die kurz davor stand, ermordet zu werden – du siehst, ich bin kein totaler Versager – und wurde danach der Crew vorgestellt. Der Captain, Lhea Dracan - du kennst sie sicher - war mir am Anfang unsympathisch. Weiß nicht, auch wenn ich ihre Geschichte kenne, hab‘ ich irgendwie das Gefühl, dass sie egoistisch ist. Vielleicht täusch ich mich auch. Lassen wir das, letztlich musste ich mit zwei Kerlen diese Mörderalgen entfernen. Sehr erfüllende Arbeit. Diese zwei Kerle waren von der Sorte Pirat, die alles weitererzählen und dabei im Mittelpunkt stehen wollen. Ich glaube, ich habe ununterbrochen von Rache gesprochen, Rache hier und Rache da.“ Bill rutschte umher, der Boden war kalt wie die Arktis und er gab grunzende, von großem Leid zeugende Geräusche von sich. Aus kosmischen Gründen war der Wind immer schwächer geworden, dafür wurde es aber auch merklich kühler.
„Ich hab ja auch noch einen Zettel hinterlassen, dass ich wiederkomme. Wenn die Mannschaft nicht vollständig aus Tölpeln besteht, werden die schon wissen, was ich hier tue.
So, mir is kalt. Und du willst sicher endlich weg von hier, machen wir‘s also schnell.“ Bill kramte in seinem Stoffbeutel und zog einen Umschlag heraus, der aus bräunlichem Pergament bestand und durch einen fünfzackigen Wachsstern versiegelt war. „Der ist für dich, nimm ihn mit, verkauf ihn, was weiß ich, dein Lebensabend kannst du in einem Anwesen mit echten Schlafgemächern verbringen. Die Einrichtung in Eiche. Ich komm dich dann besuchen.
Der Mannschaft wird’s schon nicht auffallen, dass einer fehlt“
Der Graf griff vorsichtig nach dem Umschlag, drehte ihn in seinen Händen, roch an ihm. Sein Gesicht drückte Freude aus. „Ein Präsent habe ich auch für dich, Sohn. Pass auf sie auf, ich vertraue dir.“ Der Graf knöpfte den obersten Knopf seines Hemdes auf, und zog einen Anhänger hervor, der einen sich fortbewegenden Salamander darstellte, in dunklem Holz. „Sie gehört dir. Die Crew wird glauben, du hättest mich im Kampfe besiegt. Du bist nicht mehr ein Pirat ohne Namen, ohne Ehre, einer, vor dem nicht einmal die Kinder zittern, du bist der neue Captain der Salamander. Pass auf die Crew auf, auf das Schiff, pass auf dich auf. Ich werde verschwinden von hier, das Klima schädigt meine Seele, die Palmen brennen in den Augen – ich bin des Lebens hier überdrüssig. Ich werde nach Aeropia gehen. Du wirst mich in Venezia finden, dort kann ich dies hier“ – der Graf wedelte mit dem Umschlag – „gewinnbringend veräußern. Du hast deine Ehre, ich kann mir meinen Traum erfüllen. Und nun Leb wohl, Bill.“
Der Graf stand auf, ging über die Klippen – die Schritte verhallten; neben ihm der Abgrund und in dem Abgrund der Ozean -, drehte sich nicht mehr um, sagte kein Wort mehr und war verschwunden. Eine halbe Minute später saß Bill alleine auf dem Plateau, der Anhänger in der Hand, in Gedanken versunken. Er dachte an früher, als er bemerkt hatte, dass sein Vater noch lebte. Er hatte es nicht glauben können. Sein Vater, Schmied aus ganzer Seele, täuschte seinen Tod vor und wurde Pirat. Zugegeben, er hatte mehr Erfolg gehabt, hatte in Kürze sein eigenes Schiff befehligt, dass er, Bill, nun übernehmen würde.
Das Himmelszelt zeigte einen Farbverlauf, den Bill an das Paradies erinnerte, dass er sich immer vorgestellt hatte. Im Westen war es noch dunkel, die Myriaden von Sternen und Planeten zeugten von der unermesslichen Größe des Universums, und Bill fragte sich jedes Mal, wie weit es dort oben noch weiter ging. Und nach Osten hin verwandelte sich dieses dunkle Schwarz in ein kühles Blau, und ganz hinten, wo der Horizont den Himmel packte, erschien nach und nach die Farbe Rot. Es wirkte wie ein Gemälde, auf dem ein Maler ständig neue Farben auftrug. Und dann – die Bewegung war nicht wahrnehmbar, aber dennoch schnell – erschien fast schon schüchtern die Sonne, erkletterte den Horizont, wo sie kurz innehielt. Auf einen Schlag nahm Bill das Leben war, das um ihn herum ohrenbetäubend auf seine Anwesenheit hinwies. Vögel kreischten auf ihrer Sprache – fragten sie sich etwas? Suchten sie nach Essen? Beschimpften sie sich vielleicht auch? -, die Palmen wurden Türkis, das Gebüsch raschelte und knackte, als ob jemand dort verbotene Dinge treiben würde. Das Leben, das eben noch ruhte, war nun wach. Bill stand an der Klippe, an der der Ozean nagte, spürte die Salzluft und die Berührung des Windes auf der Haut und atmete tief ein und aus. Die Sonne hatte sich von dem Horizont verabschiedet, als ob sie und der Horizont zwei gleichpolige Magneten wären, die sich voneinander abstoßen würden, und sie schwebte weiter auf ihrem Weg. Die Strahlen spendeten Wärme und verwandelten Bills Blickfeld in warme Farben. Gleich würde er aufbrechen und die Salamander aufsuchen.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:17 am

Debbie
tbc aus: Karibisches Meer -> Tortuga - Tortuga

Ruhe war auf der Verheißung eingekehrt. Auch das Gröhlen der letzten Piraten hatte sich mittlerweile unter die Geräuschkulisse des Piratennests gemischt und war darin untergegangen. Captain Dracans Männer waren losgestürmt wie eine Meute Hyänen mit dem Geruch von Aas in der Nase. Sie würden ihren Anteil der Beute spätestens in zwei Nächten versoffen, verspielt und für Freudenmädchen herausgeschmissen haben.
An Bord zurückgeblieben waren außer der Bordcrew, welche in dieser Nacht vom Geschützmeister Adams überwacht wurde, nur noch Captain Dracan, der Steuermann Arteilan und die Heilerin Aurora mit den Verletzten.
Arteilan wartete mit seiner altbekannten Schweigsamkeit an der Reling der Verheißung. Er war ebenso wie alle anderen Piraten entlassen, um seinen Anteil der Beute zu verprassen. Doch er tat es nicht. Allgemein war es nicht bekannt, wohin sein Geld verschwand und ob es das überhaupt tat. Squinter und Lamignon schworen seit jeher Stein und Bein, dass sie regelmäßig beobachteten, wie der Steuermann es in voller Fahrt auf den Grund des Meeres warf, um dem Meer für seine Dienste zu danken.
Doch ein Großteil der Crew pflegte dieses Seemannsgarn nicht zu glauben. Dafür konnten sie sich viel zu wenig vorstellen ihr Gold nicht für Rum und Bier auf den Kopf zu hauen.
Wenn es doch jemand wagte den Steuermann mit der Statur eines Bären aus den wilden Gebirgen des Nordens auf diese Geschichten anzusprechen, verzog sich sein Gesicht nur minimal zu einem schiefen Grinsen, er zog unter seinem Gürtel eine Silbermünze hervor und schnippte sie mit den Fingern über die Reling.
Eine weitere Antwort konnte man nicht von ihm erhalten. Man erhielt nie eine Antwort von Arteilan dem Steuermann. Höchstens eine Bewegung seiner Augen oder ein kurzes Zucken seiner Nasenflügel. Sein Grinsen bezüglich Squinters und Lamignons Seemannsgarns war schon das höchste aller Gefühle und zeigte deutlich, dass der Hüne durchaus Humor hatte.
Auch in jener Nacht erklang ein leises Plumpsen heckseits der Verheißung, gefolgt von einem weiteren. Der Steuermann starrte genau auf die Stelle, an der die Münzen versunken waren, die er ins Wasser geschnippt hatte. Man konnte meinen, dass es ihm länger als anderen natürlichen Wesen möglich war, den Weg des Silbers durch das fast teerende Wasser den Hafenbeckens von Tortuga zu verfolgen.
Er wartete auf seinen Captain.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:17 am

Alex
Ein verwirrter Blick huschte über Cysêths Gesicht als er die beiden Männer sah und wie sie sich umarmten. Es hatte ein Schatten über der Szene gelegen, als ob sie zu einem Kampf bereit wären, ihre Körperhaltung hatte nichts Gutes angedeutet. Und schließlich umarmte sie sich nur.
Leise trat er zurück ins Unterholz und verwandelte sich zurück in den nachtschwarzen Wolf, um nicht gesehen zu werden. Das hier wurde langsam interessant. Dankbar für seine scharfen Ohren legte er sich auf den Boden und belauschte das Gespräch der beiden. Sie hatten keine Ahnung, dass nun ein dritter eingeweiht war, auch wenn er die Hintergründe nicht verstanden hatte. Cysêth spürte, dass dies irgendwann wertvoll werden würde. Aber für jetzt hatte er genug gehört. Leise richtete er sich auf und rannte fort, durch das Unterholz, in Richtung der verglühenden Lichter Tortugas. Die Sonne warf orangene Strahlen auf die Bäume und erzeugte ein unregelmäßiges, dennoch wundervolles Fleckenmuster auf der weichen Erde.

Kurz bevor er die ersten Ausläufer des Hafens erreichte, verwandelte er sich zurück in den Hünen und fiel in einen stetigen Trab. Nur jetzt merkte er, was der Alkohol der letzten Wochen ihm angetan hatte. Seine Kondition hatte merklich abgenommen und es fiel ihm ein wenig schwerer, sich in den Wolf und zurück zu verwandeln. Sein Verstand war jedoch klarer als jemals zuvor. Er hatte eine Idee...
In den letzten Wochen hatte er einen steinernen Pfade gefunden, der zu den Meerwassertümpeln etwas abseits des Trubels führte. Geschickt lief er ihn hinunter, und sobald er am Meer angekommen war, das hier sehr viel klarer war als im Hafen, legte er seine Klinge beseite, legte seine Kleidung ab und begann, sie zu waschen. Das weiß wurde langsam wieder sichtbar, je mehr er schrubbte und bald war er mit seiner Arbeit zufrieden. Das kurze Messer blitzte in der Sonne, und ohne roß darüber nachzudenken, griff er danach und ließ sich ins Meerwasser gleiten. Es tat unglaublich gut zu spüren, wie die zahlreichen Dreckkrusten abfielen und seine Haut wieder einigermaßen sauber wurde.
Dann griff er nach seinem Haar, das ihm mittlerweile bis unter die Schulterblätter fiel, nahm das Messer und mit einem Ruck hielt er das Meiste davon in seiner Hand. Es war ein seltsames Gefühl, nach seinem Langen Haar zu fühlen und nur Leere zu spüren. Aber das war es, was er brauchte. Einen Neuanfang. Von vorne starten und seine Vergangenheit hinter sich bringen. Er würde nicht davon ablassen, immer ein Auge nach Mireille aufzuhalten, aber es hatte keinen Sinn mehr, nach ihr zu suchen. Vermutlich war sie ohnehin schon über alle Berge.


Ein Seufzen rann über seine Lippen, als er aus dem Wasser stieg, sein Hemd überstreifte und seine Waffen anlegte. Er erinnerte sich wieder an das Ziel, mit dem er aufgebrochen war. Die Welt zu erkunden. Sich selbst zu sein. Oder sich zu finden. Das hatte er in den vergangenen Wochen stetig vernachlässigt. Es war Zeit für einen Neuanfang.
Mit lockeren Schritten wanderte er den Pfad herauf, betrat die Straßen Tortugas und wanderte herum, bis er zum Hafen kam. Die Sonne hatte längst ihren höchsten Punkt am Himmel erreicht und sank stetig in Richtung des Horizonts. Er wusste nicht, wie lange er dort gestanden hatte, als eine Hand sich auf seine Schulter herabsenkte und eine altbekannte Stimme ihn herumschnellen ließ.
"Hallo, Bursche. Du hast vergessen, Tschüss zu sagen." Noah. Natürlich. Die Piraten waren hier.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:17 am

Debbie
Wie auch alle anderen Piraten hatte der Smutje Noah seinen Anteil der Beute kassiert und war nun losgezogen, um die Gassen von Tortuga unsicher zu machen. Wobei unsicher machen dafür sicherlich der falsche Ausdruck war. Der Experte für Meeresschildkrötensuppen und Pökelfleisch schaute zwar das ein oder andere Mal etwas zu tief in seine Buddel voll Rum, doch pflegte er allgemein jeglichen für Tortuga typischen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen.
So wich er das ein oder andere Mal einem Knäuel raufender und prügelnder Trunkenbolde aus, ließ sich nicht von einer alkoholisierten Furie in einem Fetzenkleid provozieren und suchte gemeinsam mit dem Navigator, den Kanonieren Squinter und Lamignon und einigen anderen Seemännern die erstbeste Taverne auf, wo er nach zwei runden Rum begann mit den Männern raue Seemannslieder zu singen und nach zwei weiteren Runden beinahe sein ganzes Geld verlor, indem den Fehler machte anzukündigen, dass er alle auf eine weitere Runde einlud.
Ursprünglich hatte er mit "allen" alle aus der Crew der Verheißung gemeint, welche immerhin im Dutzend anwesend waren, doch mit "alle" fühlten sich plötzlich auch viele neue und ihm noch unbekannte Freunde angesprochen und er ergriff die erste Gelegenheit, um schnell vor die Tür Luft schnappen zu gehen.
Plötzlich fand er sich alleine irgendwo in Tortuga wieder. Kneipen, Freudenhäuser, vermüllte Gassen und Schlägereien sahen hier überall gleich aus und auch dieselben Lieder wurden überall voller trunkenem Überschwang gesungen.
Der viele Rum hatte durchaus seine Wirkung getan und im schummrigen Dämmerlicht war es Noah kaum möglich, mehr als die vom Ruß schmierige Hauswand direkt vor sich zu erkennen, an welcher er sich gerade abstützte, in nicht in eine Pfütze mit undefinierbarem Getier darin abzusinken.
Er war sich sicher, dass die Gasse, welche sich in der Hauswand gegenüber auftat, ihn zurück zum Hafen in seine gemütliche, schaukelnde Kombüse führen würde. Doch um dorthin zu gelangen, musste er sich von seiner haltgebenden jetzigen Hauswand lösen und es bis zur nächsten Ecke schaffen.
Noah gab sich einen Ruck und näherte sich schlingernden Schrittes der gegenüberliegenden Gasse, als ein großer Mann um ihn herum trat, um ihn zu überholen. Der Smutje wäre beinahe gegen ihn gefallen, doch schon war der Kerl auch schon vorbei und trat direkt in die Gasse.
Irgendetwas trieb Noah dazu, ihm zu folgen. Der Mann schritt zwar schnell und mehr oder weniger entschlossen voran, doch mit dem Ehrgeiz eines betrunkenen Schiffkochs war bei weitem nicht zu scherzen und Noah schaffte es tatsächlich, ihn am Hafen wieder einzuholen.
Dies hatte zweierlei Vorteil für ihn. Zum Einen befand er sich wieder in für ihn bekannten Gefilden, zum anderen war das Licht hier nicht ganz so schummrig und ließ ihn trotz seines beachtlichen Pegels den Mann irgendwie bekannt erscheinen.
Mit mal schnelleren, mal langsameren Schritten torkelte und stolperte er auf ihn zu, bis er schließlich beinahe in den Rücken des Bekannten fiel, sich aber gerade noch an dessen Schulter abfing.
"Hmmhaaallo Buhrschää! D-du hassst vergesssn... Tschüss! sssu sagn!", lallte er ihn an und drehte ihn ungeschickt herum, um ihm ins Gesicht zu rülpsen und ihn dann wolhlwollend und auch etwas entschuldigend anzusehen. "Was machstn du h... hups, hier, hm?"
Noah sah Cysêth aus glasigen Walrossaugen an und unterdrückte nur mühsam ein weiteres Rülpsen.

Während Arteilan an Deck der Verheißung geduldig auf seinen Captain wartete, schritt dieser unruhig in seiner Kapitänskajüte auf und ab. Nur bei jedem zweiten Auf- und Abschreiten griff Lhea ein weiteres Kleidungsstück und wurde schließlich zum ansehnlichen und gefürchteten Captain Dracan. Die legeren Kleider eines einfachen Seemanns und ihr alter Kapitänsmantel reichten in Tortuga bei weitem nicht aus, um den gebührenden Respekt ihrer Person gegenüber aufrecht zu erhalten.
Hier musste sie schon mit ordentlichen Beinkleidern und schnallenversehenden Stiefeln, einem Hemd, einer Weste und mit Knöpfen von verschiedenen Raubzügen versehenen Kapitänsmantel aufwarten. Zudem war es mehr als erforderlich, ihr Geschlecht mit Brustverbänden zu verbergen. Auch band sie sich ein Tuch um Mund und Nase und zog sich einen großen Hut tief in die Stirn. Letzteres waren die unverkennbaren Merkmale Captain Dracans. Kaum ein Pirat kannte sein wahres Gesicht. Nur seine Crew hatte es gesehen und sie schwieg sich darüber aus und warf Außenseitern nur unheilverkündende Blicke zu, wenn sie nach dem Gesicht Captain Dracans fragten.
Lhea griff nach ihrem Waffengürtel, lud ihre beiden Pistolen nach, steckte sich diverse Messer in Hosenbund, Hemd, Stiefel und sogar eins unter den Verband und bestückte auch ihren Gürtel damit. Als sie ihre Kajüte endlich verließ war Lhea Dracan der wandelnde Alptraum eines jeden rechtschaffenden Mannes.
Doch zuerst suchte sie die Kajüte des Navigators auf, in welcher nun Aurora wohnte. Nachdem sie kurz angeklopft hatte trat sie ein und fand die Schiffsärztin bei Samuel Lamignon, welcher in einen tiefen, erschöpften Schlaf gesunken war.
Gut so, dachte sich Lhea und blickte ihn unter ihrem Hut hervor grimmig an. Wäre er wach, würde er alles daran setzen, um von Bord gehen zu können, um zahlreiche Abenteuer auf Tortuga zu erleben, welche ihn sicherlich Kopf und Kragen kosten würden.
Trotzdem war Captain Dracan dazu verpflichtet, ihm seinen Anteil der Beute zu überreichen, damit er genau das tun konnte. Der Junge würde früh erwachsen werden, aber nie gänzlich. Das war das Los eines Piraten.
Sie zog aus ihrer rechten Manteltasche einen kleinen Stoffbeutel, welcher mit einem Lederband verschlossen war. Darin klimperte es verheißungsvoll. Aus der linken Tasche zog sie einen weiteren, praller gefüllten Beutel. Der Tradition gemäß bekam der Schiffsjunge nur einen halben Anteil der Beute. Aurora als Schiffsärztin dafür einen ganzen.
Lhea Dracan überreichte ihr beide Beutel.
"Du bist frei, dir deine Zeit auf Tortuga zu vertreiben", informierte Lhea Dracan sie und nickte zu dem größeren Beutel in Auroras Händen hin. "Aber nimm dich in Acht. Eine Frau wie du sollte sich hier nicht zu auffällig verhalten."
Damit spielte der Captain zweifellos auf Auroras vergleichsmäßig gepflegtes Äußeres an, welches sie deutlich von den Nutten, Schwankwirtinnen und Fischereiweibern der Insel abhob. Der ein oder andere Pirat würde sich mit Sicherheit die Finger nach einer solch sauberen und ansehnlichen Frau lecken und nicht alle Piraten auf dieser Insel stammten von der Verheißung und wussten, was ihnen dann blühte.
Lhea nahm war, wie Auroras Blick kurz zu dem schlafenden Schiffsjungen glitt. "Du kannst ihm seinen Anteil der Beute geben, sobald er wach ist. Vorher wird er sich nicht weit vom Schiff entfernen."
Damit trat sie aus der kleinen Kajüte und schritt den Gang zum Deck hin entlang, wo Arteilan von dem Lederband um sein Handgelenk aufsah, welches er bis eben betrachtet hatte, als er sie kommen hörte.'
Es gab vieles zu tun und er würde seinem Captain folgen, wohin auch immer er ging.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:18 am

Steffie
tbc aus: Karibisches Meer -> Tortuga - Tortuga

Als Lhea eintrat, wandte sich Aurora sofort zu ihr um und stand auf. Für einen Moment war sie versucht, den Captain zu fragen, womit Sammy eine solche Bestrafung verdient hatte, öffnete den Mund doch befand es kurzum für klüger, sie nicht darauf anzusprechen. Stattdessen erklärte sie: "Es geht ihm schon wieder recht gut". Doch statt einer Antwort von Seiten Dracans überreichte diese ihr zwei Lederbeutel, welche Aurora verwundert entgegennahm. Mit schon wieder offenem Mund sah sie den Captain an, während sie den Worten ihre Aufmerksamkeit schenkte. Auroras Blick folgte dem Lheas auf den volleren Beutel. Nie hätte sie mit einer solche Geste gerechnet. Ein verwirrtes "D-Danke" war das Einzige, das sie über ihre Lippen zu bringen vermochte und so schnell, wie Lhea in die Kajüte getreten war, war sie auch schon wieder hinaus verschwunden.

Ein sorgenvoller Blick in Richtung des Jungen ließ sie daran zweifeln, ob sie ihn wirklich alleine lassen konnte. Doch andererseits waren schließlich noch andere Crewmitglieder an Bord. Außerdem war sie sicher, dass Sammy sicher noch schlief, wenn sie zurückkehrte. Lange würde sie sich auf Tortuga nicht aufhalten, schwor sie sich. Doch es war eine willkommene Abwechslung.

Bevor auch sie die Kajüte verließ, begutachtete sich Aurora in ihrem Spiegel, band sich die Haare zusammen, zupfte an ihrem Rüschenhemd, entfernte das Band aus den Haaren wieder, schlüpfte in schwarze Lederstiefel, betrachtete sich abermals, verwuschelte sich die blonde Mähne kurz mit den Händen, nickte zufrieden, als sie ihr Werk betrachtete und trat hinaus.

Sie spürte die Blicke der Männer und Frauen, die rund um den Hafen herum arbeiteten, soffen, herumlungerten oder sonstigen Tätigkeiten nachgingen. Manch Einer betrachtete sie lüstern, doch die meisten Blicke wirkten verwundert. Aurora beobachtete, wie diverse Augenpaare erst sie und dann das Schiff betrachteten, von welchem sie soeben gegangen war. Sicher wussten sie, dass auf der Verheißung bisher nur eine Frau ihr Unwesen trieb. Wie auch immer, so dachte sich Aurora und bahnte sich ihren Weg durch die neugierigen Blicke hindurch, während sie selbst eine finstete Mine auflegte. Vorsichtshalber hatte sie sich einen Gürtel umgeschnallt, von dem ein Degen hinab baumelte. Natürlich konnte sie mit derartigen Waffen nicht umgehen aber es konnte sicher nicht schaden, eine Solche mit zu führen. Und wie sie so durch die Menge stolzierte, ihre Hand gemütlich auf dem Knauf des Degens ruhend, die grimmige Mine aufgesetzt, welche sie sich von Captain Dracan abgeschaut hatte, konnte Aurora mit Zufriedenheit feststellen, dass Einige von Ihnen auf Abstand gingen.

Sie war froh, den stinkigen Hafen endlich hinter sich gelassen zu haben, als sie durch die verlassenen Gassen Tortugas schritt. Natürlich hatte Aurora es nicht geschafft, ohne pöbelnde Betrunkene bis hier hin zu kommen. Mancher von ihnen wollte sich zudem nicht nur mit Worten begnügen doch die junge und vor allem nüchterne Frau war schneller als die mit Rum abgefüllten Piraten, welche sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Sie war froh, endlich eine Gasse erreicht zu haben, in der ihr niemand entgegen kam, als sie plötzlich an einer Ecke vor ihr in einigem Abstand zwei Gestalten stehen sah, von denen Eine, wie sollte es anders sein, für sie unverständliche Worte lallte. Ein kurzes Seufzen trat über ihre Lippen doch es half nichts, sie musste wohl oder übel an ihnen vorbei. Der Besoffene stand mit dem Rücken zu ihr, wodurch sie lediglich den größeren von ihnen einer genaueren Betrachtung unterziehen konnte und irgendwoher kam er ihr bekannt vor.

Vorsichtig und leise trat sie näher an die Beiden heran und war sichtlich erleichtert, als sie den Werwolf erkannte, der ihr vor gefühlten Ewigkeiten geholfen hatte. Und als sie schließlich unmittelbar neben ihnen stand, wurde ihr auch klar, dass es Noah war, der die unverständlichen Worte von sich gegeben hatte.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:18 am

Alex
Ein belustigtes Grinsen zog sich über Cysêths Gesicht, als er Noah so sah. Auch wenn es ein wenig schmerzlich war. So hatte er sich vermutlich erst gestern verhalten. Seine Frage nahm er eher als eine kurze Floskel wahr und machte sich daran, den taumelden Schiffskoch zu stützen und ihn schließlich dazu zu zwingen, sich auf die Mauer zu setzen, die steil zum Hafen abfiel.
Er spürte jemand anderen schräg hinter sich stehen und drehte sich auf dem Absatz um, um den Neuankömmling neugierig zu mustern, als sich seine Miene aufhellte. Er kannte diese Frau! Trotz dessen dass er sich nicht an ihren Namen erinnern konnte, erkannte er ihr Gesicht und das blonde Haar, das über ihre Schultern fiel. Sie war die Frau, die er damals geholfen hatte, als die Piraten sie das allererste Mal auf das Schiff verschleppt hatten.
Das Grinsen breitete sich aus zu einem leichten Lächeln, das seine Augen allerdings nicht erreichen konnte, als er ihr zunickte. "Es ist schön, euch wohlbehalten wiederzusehen. Erinnert ihr Euch noch an mich?"
Noah hinter ihm rülpste leise.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:18 am

Tobi
Dreck. Gelber Dreck, brauner Dreck, schwarzer Dreck, Dreck unter den Fingernägeln, im Haar, nasser Dreck, trockener Dreck, staubtrockener Dreck. Dreck – Beginn und Ende. Überall Dreck. An Kleidern, Ärmeln, Schuhen, auf dem Boden, überall. Dreck in Bills Atemwegen. Bill wachte auf und verließ seine Traumlandschaft wie ein Taucher, der aus einem tiefen Teich an die Oberfläche gelangt, und hustete. Hustete wie ein Kranker, ein Schwachsinniger, wie jemand, der das Vakuum verlässt und nach Luft ringt. Müde öffnete er die Augen, der Kopf schwer vor Leid. Die Erinnerung von seinem Erwachen am Strand kehrte mit einer Geschwindigkeit vor seine innere Linse zurück wie ein Bumerang zu seinem Werfer. Helligkeit, Desorientierung, die Angst vor dem Tod. Und das ganze nochmal, alles geschah wie immer zweimal im Leben. Schon wieder lag er auf dem Boden – diesmal jedoch im Dreck – und konnte sich kaum bewegen. Die Sonne brannte auf ihn, verbannte ihn wie das Feuer den Spieß; sie lähmte ihn wie eine auszehrende Krankheit. Bill konnte sich einfach nicht bewegen. Seine Glieder reagierten nicht auf seine inneren Kommandos, Arme und Beine erstarrt wie eine Statue aus Gips. Mit einer Anstrengung, die an Herkules‘ grenzte – mindestens – drehte Bill seinen gegrillten Kopf aus dem Dreck und er fiel zurück, schlaff, müde. Der Kopf traf auf den Boden und Dunkelheit umgab ihn, wohltuend wie das Erscheinen einer Oase nach einem mehrtägigen Wüstenmarsch. Bill lag dort, die Haut verbrannt, in einer Hand den Anhänger in Form eines Salamanders. Die Augen wieder geschlossen, zurückgekehrt ins Reich der Träume, wo das Leben sehr viel einfacher war. Viel mehr Spaß machte. Am Nachmittag – die Sonne brannte immer noch auf Bill wie ein Sadist – öffnete Bill zum zweiten Mal die Augen. Dreck erschien in seinem Blickfeld. Irgendein Krabbelwesen, das sicherlich bei diesen Temperaturen sein Nachwuchsoptimum erreichte. Dreck. Und die Sonne. Bills Nacken, seine Arme und Beine brannten so stark, als würde er sich in Lava baden. Und nichts reagierte, weder sein Kopf noch der Rest. Wäre Bill nicht so müde gewesen, hätte er geflucht. Jetzt hatte er endlich mal Erfolg, darauf hatte er die ganze Zeit hingearbeitet, und nun lag er im Dreck, zu jeder Bewegung unfähig. Er hätte an der Felsenklippe stehen und auf das Meer blicken Müssen wie Cortez, wie Livingstone, wie jemand, der Erfolg gehabt hatte, statt einfach dazuliegen wie ein Schwächling, der in der Sonne verbannte. Aber es ging einfach nicht. Er hatte Dreck im Mund, in den Augen, und sicherlich bot er auch schon zahlreichen fleischfressenden Insekten Heim und Nahrung zugleich. Was war los, das er hier lag wie eine Leiche? Er lebte noch, das wusste er. Und es wäre doch gelacht, wenn er so leicht niedergestreckt werden würde. Nein, die Natur, die Mächte des Himmels, die Strippenzieher, die Piraten, der Graf, Lhea Dracan, sie alle hatten ihre Rechnung ohne ihn, Bill, gemacht. Er würde hier nicht einfach so verrecken, nein, diesen Gefallen würde er ihnen nicht erfüllen, nicht mit ihm. Mit der Slamander würde er über die sieben Weltmeere kreuzen, die Leute würden sich umdrehen und flüstern, wenn sie seinen Namen aussprächen, und die Geschäfte würden ihre Läden schließen, wenn sie hörten, dass die Slamander wieder auf dem Weg sei. Er wusste, dass er es schaffen würde. Nur wusste Bill nicht, warum er sich nicht bewegen konnte, wo er war, wo er hingehen würde. Hatte er etwas falsch gemacht? Eine falsche Bewegung, ein gerissener Nerv, nie wieder bewegen? War er krank, war das ein Traum? Eigentlich wollte er doch zur Salamander, seinem Schiff. Er hatte seinen Vater getroffen, ihn ihm Zweikampf besiegt - so würde er es darstellen, die Wahrheit war ja nur geringfügig modifiziert - und hatte ihm den Anhänger abgenommen. Diesen Anhänger durfte er unter keinen Umständen verlieren, er war seine Besitzurkunde, der Beweis, dass die Salamander ihm gehörte. Und er hatte Durst. „Kann mir jemand Wasser bringen?“ flüsterte er dem Boden zu. Und nach einer Pause: „Bitte“. Aber wer sollte das schon hören.
Mit einem gekrächztem Stöhnen - in einen Husten übergehend - versuchte Bill, seinen Kopf, der vor Schmerz pochte, als würde jemand sein Hirn zum Trommelspielen benutzen, in die andere Richtung zu wenden. Was würde er sehen? Das Paradies? Die Tür des Herrn? Kerkermauern? Nichts? – und schaffte es nicht. Gerade einmal ein paar Zentimeter bewegte er seinen Kopf, außer Atem wie ein Kurier, der wegen einer schlechten Nachricht hunderte Kilometer laufen musste. Sein Kopf war schwer, als hätte man ihn mit Gewichten gefüllt, als er zum wiederholten Male auf die Erde donnerte. Einschlag wie ein riesiger Meteorit, wie ein Asteroid, wie Chicxulub.
Da muss schon mehr passieren, um mich umzuhauen, dachte Bill, als das Licht wieder ausging und alles weiß wurde.
Die Sonne kümmerte sich nicht darum. Sie, die Ewigkeit, betrachtete Bill, wie er zusammengekrümmt auf dem Bauch lag, die Hand mit dem Anhänger ausgestreckt, auf dem abgewandten Gesicht das Lächeln des Sieges, des Erfolges, in dem die Erkenntnis lag, dass Erfolg, wirklicher Erfolg, nur selten jemandem auf der Erde gegönnt wird, sie schaute auf ihn leidenschaftslos, ohne Zuneigung, wie er dort lag, und hätte Bill sich der Sonne zugewandt und hätte er die Augen offengelassen, hätte die Sonne sehen können, dass dort neben der Angst auch noch die Freude nistete, Freude über den Sieg, der Sieg, der sich wiederum in seinem Lächeln wiederfand. Freude über eine Zukunft, die er sich vorgestellt hatte. Das konnte die Sonne nicht sehen, und nachdem sie sich eine Weile lang diese Szenerie kommentarlos angeschaut hatte, war sie dem Anblick anscheinend überdrüssig und ging, verschwand hinter dem Horizont.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:18 am

Steffie
„Noah!“ Ein Hauch von Besorgnis schwang mit, als sie vorwurfsvoll seinen Namen ausstieß. Sie verstand einfach nicht, wie man sich mit Alkohol dermaßen die Sinne vernebeln konnte, war es doch im Leben oft wichtig, bei klarem Verstand zu sein. Doch vielleicht, so sagte sie sich, lag ihre Einstellung auch einfach nur daran, dass sie von der Marterie der Piraten nicht die leiseste Ahnung hatte.

Als sie sah, dass Cysêth den Schiffskoch auf der Mauer absetzte, eilte sie schnell zu Hilfe, denn sie erkannte, wie gefährlich steil sie abfiel und traute dem torkelnden Noah nicht zu, sich selbst sicher in dieser Höhe zu halten. So ließ sie sich neben ihm auf der Mauer nieder und stützte mit einer Hand seinen Rücken.

Aurora wusste nicht, wie genau sie diesem Mann gegenüber treten sollte, erinnerte sie sich doch wage an seine Freundin und fragte sich, warum er es zugelassen hatte, dass als die Piraten sie mit den anderen Gefangenen davon schleppten. Doch sie nahm sich vor, ihn darauf nicht anzusprechen, kannte sie das Paar – oder vielmehr ehemalige Paar – doch zu wenig. So beließ auch sie es bei einem freundlichen Lächeln und nickte ihm zu. „Ja – mir geht es recht gut“, erklärte sie ihm als Antwort.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:18 am

Debbie
Die Nacht hatte endgültig die letzten Sonnenstrahlen verschlungen. Das passte ganz gut. Sonnenstrahlen passten nämlich nicht zu Tortuga. Und sie ließen dieses Nest voller Säufer und Halsabschneider nur noch dreckiger erscheinen.
Nachts erhellten nur gelegentliche Laternen an den Eingängen der Freudenhäuser und Tavernen die schlammigen Gassen und ließen sie wenigstens ein wenig vorteilhafter erscheinen. Goldenes Licht spiegelte sich in den Pfützen und brach sie tausendfach, sobald die Stiefel eines betrunkenen Pirats hindurchstolperten.
Ein solcher fiel Captain Dracan von der Verheißung direkt vor die Füße. Der Captain rümpfte kurz und kaum merklich die Nase und setzte nicht eben sanft seinen eigenen bestiefelten Fuß auf dem Kreuz des gefallenen Trunkenbolds am, um über ihn hinwegzusteigen. Der Steuermann hingegen musste nicht einmal einen größeren Schritt machen, um das Hindernis zu überwinden. Er ließ sich keinerlei emotionale Regung anmerken.
Zielsicher folgten die beiden einem noch unbekannten Weg und gelangten immer tiefer in diesem Moloch, in dem man nur über Menschen lachte, zu deren Wortschatz Begriffe wie "Ehrlichkeit" oder "Loyalität" zählten.
Es ging bergan und der Untergrund wurde trockener. In dieser Gegend gab es weniger Hafenspelunken und mehr Wohnhäuser, auch wenn nur ein Narr behauptet hätte, dass diese Gegend einen höheren Lebensstandard habe. Die hier arbeitenden Frauen waren zwar teurer, hatten aber auch weniger Ungeziefer. Doch der Captain und der Steuermann waren nicht losgezogen, um sich zu vergnügen.
Sie mieden einen mit zwei roten Laternen erleuchteten Eingang und bogen stattdessen in das mit Brettern ausgelegte Gässchen direkt neben dem Haus. Aus einem mit Laden versehenen Fenster noch über Arteilans Kopf drang leise Musik. Es handelte sich um das teuerste Freudenhaus Tortugas. Und es gehörte laut Tradition dem Piratenkaiser der Karibik - Joe Dafoe.
Captain Dracan und sein schweigsamer Begleiter gelangten in einen vergleichsweise sauberen Hinterhof. Schwacher Laternenschimmer erhellte Pflastersteine um einen zugenagelten Brunnen. Zwei kämpfende Kater stoben fauchend davon, als Arteilan an den Brunnen trat und unauffällig zwischen einem Spalt in den Brettern hindurchspähte. Er nickte seinem Captain zu und dieser schritt die Stufen einer unscheinbaren Kellertreppe auf der Rückseite des Freudenhauses hinab und klopfte dort an eine Tür mit eisernen Scharnieren.
Ein leises Schaben und Poltern erklang, doch die Tür wurde nicht geöffnet. Captain Dracan klopfte erneut, dieses Mal energischer, doch nun war gar nichts mehr zu hören.
Als er jedoch zurück zum Hof hinanstieg, wurde ein Fensterladen im ersten Stockwerk des Freudenhauses geöffnet und eine leicht bekleidete Frau beugte sich hinaus, wie um frische Luft zu schnappen. Doch sowohl der Captain als auch sein Steuermann bemerkten, dass sie die beiden unauffällig versuchte zu mustern.
Die Frau drehte sich mit dem Rücken zum Fenster und lehnte sich an die Fensterbank. Sie sprach mit jemandem im Inneren des Hauses, doch ihre Stimme war zu leise, um unten mehr als ein Murmeln zu vernehmen.
"Sag deinem Herrn, dass Captain Dracan gekommen ist, um ihn zu sehen", ließ sich auf einmal eine heisere Stimme aus dem Hof vernehmen. Die Frau drehte sich scheinbar wenig interessiert um und warf einen Blick auf die kleinere Gestalt der beiden Fremdlinge unten im Hof. Sie murmelte wieder etwas zu der unsichtbaren Gestalt im Inneren des Hauses. Plötzlich wurde sie am Arm gepackt und vom Fenster weggerissen. Sie schrie überrascht auf und kurz darauf wurden die Fensterladen von einem großen Kerl mit breiten Schultern und zahlreichen Haaren auf der Brust zugeschlagen.
Wenig später öffnete derselbe Mann die Tür zum Keller und nickte Captain Dracan stumm zu. Der Piratenkaiser war bereit den Berserker, Captain Kreuzfeuer, zu empfangen.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:18 am

Tobi
Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft, so sagte man, seien eine hohe Tugend. Zu Recht, denn wohin würde ein einzelner, eine Gruppe, ein Volk, ja sogar die ganze Menschheit kommen, wenn es ihr an diesen Werten fehle? Keine Frage, die Welt und vor allem die auf ihr lebenden mit einem Geist gesegneten Geschöpfe hätten niemals diese Entwicklung durchgemacht. Natürlich waren diese Eigenschaften nicht der einzige Grund, warum sich einzelne Wesen dieser Erde weiter entwickelten und Kulturen gründeten, von denen die Nachwelt später noch mit Staunen berichten wird. Vielleicht wurden diese Fähigkeiten aber auch nur von aller Welt angepriesen, so dass zwar jeder sagen würde, er würde sie als höchstes Ziel ansehen, im Herzen aber egoistisch bleiben. Vielleicht waren diese Werte auch nur eine Farce. Egoismus trieb natürlich auch sein Unwesen mit den denkenden Lebewesen, natürlich meist eher verdeckt. Nirgendwo wurde er jedoch so offen präsentiert wie in Tortuga, dem Hafen. Hier wurde geklaut, betrogen, geschlagen, gemordet. Das eigene Ansehen war das wichtigste; nur noch durch den Füllstand der Brieftasche wurde dies übertroffen. So blieb man entweder im Hintergrund und verhielt sich still oder nahm an den zahlreichen Schlägereien teil, deren Ursache nur ein Schlafloser hätte rekonstruieren können. Aber letztlich ging es nur um die eigene Stärke, die die Piraten sich gegenseitig demonstrieren mussten. Wer hier einmal gelandet war musste sich schon geschickt anstellen, um nicht am nächsten Morgen ohne Hab und Gut in einer Seitengasse aufwachen zu müssen. Deshalb machte man entweder mit, versuchte zur Legende zu werden, oder man ließ es bleiben. Wie dem auch sei, bei keinem dieser beiden Gruppen fand man Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft. Sicher, in einer Crew auf einem Segler half man sich untereinander, aber da ging es auch meistens um die Beute, ein gemeinsames Ziel. Und sicher, es gab auch Ausnahmen, es gab auch Piraten, die irgendwo in sich drin ein Körnchen dieser positiven Haltungen fanden.

Bill, mittlerweile wieder bei Bewusstsein, zählte sich zu denen, die so etwas in sich fühlten. Würde er hier zufällig vorbeikommen und über einen Kerl (oder Dame) stolpern, der oder die reglos und mit verbrannter Haut verkrümmt und wie ein Toter am Boden lag, würde er selbstverständlich versuchen zu helfen. Aber welche fehlgeleitete Seele würde nachts hier vorbeikommen und ihm helfen? Und was, auch wenn es nicht wirklich wichtig war, sollte er sagen, um seine Lage zu beschreiben? „Ja wissen Sie, ich wollt nur mal `ne Nacht im Grünen verbringen, jetzt wo dir Sterne wieder so schön leuchten.“ Klar, wer spürte denn nicht das Verlangen, auf Tortuga mitten im Busch zu übernachten, wo die Moskitos besonders groß und durstig und die Käfer besonders hungrig waren? Auf dem Bauch zu liegen und mit jedem Atemzug Dreck einzuatmen? Sich die Haut verbrennen lassen? Extra die Sorte Boden aussuchen, die so bequem wie ein Nagelbrett war? Bill wusste, im Herzen jedes Piraten lag der Wunsch sich hier im Dreck zu wälzen und sich rösten zu lassen wie er. Er war der Vorreiter, der Pionier einer neuen Religion. Sie würden in Scharen kommen um es ihm gleich zu tun. Er würde Messen hier im Dreck abhalten, gemeinsames im-Dreck-schlafen organisieren, er würde verehrt und angebetet werden. Natürlich würde seine gläubige Anhängerschaft nach seinem Tod eine riesige Statue von ihm aufstellen lassen, genau an dieser Stelle hier. Marmor, mindestens achtzig Meter hoch. Die Arme geöffnet, ein ansprechendes und geläutertes Lächeln auf den Lippen. Auf dem Sockel würde „In Gedenken an den heiligen Bill“ oder sowas stehen. Oder hörte sich „der heilige Bill“ besser an? Und später, nach hundert, zweihundert Jahren würden die Besucher beim Lesen der Innenschrift staunend und wissend „aha“ sagen. „Mama“, wird das Kind sagen, „den haben wir gerade in der Schule besprochen!“ „Wow!“, wird sie dann mit großen Augen antworten, ohne den bewundernden Blick von der Statue abwenden zu können.
Bill zählte sich auch zu denen, die wahnsinnig waren. Mit dem Bild einer monströsen Statue des heiligen Bills vor seinem inneren Auge begann er leise zu kichern, das sich in einem Crescendo zu einem heiseren Lachen wandelte, bis Bills ganzer Körper bebte, als litte er an einer schlimmen Krankheit und jedes Tier in seiner näheren Umgebung zog sich angesichts dieser beängstigenden Geräusche rasch zurück. Das Lachen, das zugegebener Maßen die Monstrosität der eben vorgestellten Statue auf der Monstrositätsskala mühelos in den Schatten stellte, drang ohne gebremst zu werden durch die Dunkelheit der Nacht und hätte selbst einen angriffslustigen Bären von seinem blutrünstigem Vorhaben abgehalten. Bill konnte gar nicht mehr aufhören vor Lachen. Besser gesagt husten, denn mittlerweile war so viel Staub aufgewirbelt, dass er seiner unglücklichen Bodenlage geschuldet den Dreck zwangsläufig konsumieren musste. Mammuts konnte er besiegen, ja, aber sich bewegen und vom Boden aufstehen? Fehlanzeige. Ein wahrer Held.
Doch halt! Hatte er das Bein gerade bewegen können? Das konnte keine Täuschung gewesen sein! Ächzend realisierte Bill, dass seine Gliedmaßen ihren Streik aufgehoben hatten und wieder Bills zentralem Kommando folgten, zwar erst zögerlich, dann immer mehr. Ob das an seinem Anfall lag?
Als er schließlich auf wackeligen Beinen auf dem unebenen Grund stand, beschloss er, Tortuga Zwecks Nahrungsaufnahme um den Hunger zu stillen und für das seelische Gleichgewicht, aufzusuchen. Beim Treffen der ungebildeten Bewohner von Tortuga-Hafen würde er hauchen, er sei der letzte Überlebende eines Massakers, dabei mit dem Daumen über die Schulter hinter sich in das dunkle Dickicht zeigen und weiter humpeln. Zombies könnte er auch noch erwähnen. Oder Werwölfe. Sie seien in der Überzahl gewesen und es grenze an Wunder, dass er es geschafft habe. Er hoffe, sie hätten ihn nicht angesteckt. So wie er aussah und wie er die Bewohner einschätzte würden die ihm das glatt abkaufen und sicher aus Panik kreischend das Weite suchen. „Oh mein heiliger Vater, da ist einer, der Kontakt mit Nekromanten (oder Werwölfe, je nachdem, was er denen sagen würde) hatte, nichts wie weg hier!“, konnte Bill schon in seinem inneren Ohr hören. Vielleicht würde im Zuge dieser Panik auch ein überhastet verlassener Laden vor ihm auftauchen, an dem er sich ein paar Nahrungsmittel borgen konnte. Das würde ein Spaß werden!
Anschließen würde durch die Stadt zum Hafen gehen, dabei das Gerücht weiter anheizen, die Untoten seien wieder im Ort (oder Werwölfe, je nachdem), und dann die Salamander aufsuchen, das nun sein Schiff war.
Bill hinkte durch den Wald in Richtung der Stadt und flüsterte ununterbrochen „Mein Schiff“ vor sich hin. Dabei hielt er den Anhänger mit dem Salamander fest in seiner Hand. Er war auf dem Weg.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:19 am


Debbie
Sämtliche vorher dagewesene, ohnehin schon gedämpfte Geräusche verschwanden gänzlich von der Bildfläche, als sich die schwere Tür hinter dem Captain und seinem Steuermann schloss. Kein Johlen mehr, kein Gelächter, kein betrunkenes Singen zu ordinärer Musik. Alles, was nun noch zu hören war, waren die schweren Schritte des Mannes, der vor den beiden ging, das dumpfe Beben von Arteilans riesigen Bärenpranken und ein leises Klicken, wenn die mit Dolchspitzen versehenen Stiefel des Captains den Boden berührten. Auch wenn es niemand gewagt hätte es auszusprechen - neben Arteilan wirkte Lhea Dracan wie ein kleines Kind. Jedoch fehlte ihrem Gang jegliche kindliche unbeschwertheit. Ihr Schritt war entschlossen, ihr Tritt sicher. Captain Dracan pflegte mit jeder Bewegung Gerissenheit und Selbstsicherheit auszustrahlen.
Doch hier konnte dies niemanden beeindrucken, denn die einzige Person, in dessen Sichtfeld der Captain gerade lief, war ihr Steuermann. Und diesen konnte nichts beeindrucken, außer die Mythen seiner perúanischen Ahnen.
Sie folgten einem schmalen Kellergang, vorbei an verriegelten und verrammelten Vorratskammern. Hinter diesen eisenbeschlagenen Kerkertüren wartete alles andere als Einmachgläser und die letzte Rübenernte. Captain Dracan wollte keinen Gedanken daran verschwenden, was Joe Dafoe hier lagerte. Er wäre damit vermutlich in der Lage, ganz Tortuga in die Luft zu jagen. Oder ganz Tortuga zu vergiften. Ein Piratenkaiser musste zuweilen noch bedrohlicher wirken, als ein einfach Piratenkapitän.
Die Decke war niedrig und während der Mann vor Lhea nur den Kopf beugen musste, lief Arteilan weit nach vorne gebeugt. Kein Licht drang nach hier unten. Nur die Fackel in der Hand ihres Führers erhellte den Weg. Auf dem Boden fanden sich zuweilen dunkle Flecken zweifelhafter Herkunft und Hinterlassenschaften der hier lebenden Ratten.
Es roch leicht muffig, jedoch, trotz der Ratten, nicht allzu unangenehm. Der Odem eines alten Gemäuers herrschte vor und es hing ausnahmsweise nicht der Gestank von tausenden Rumsäufern in der Luft. Captain Dracan sog durch das Tuch vor seinem Mund und seiner Nase tief dieses so seltene Aroma in sich auf. Er musste sich nicht bücken, nicht einmal mit Hut.
Sie erreichten eine Treppe, die sich in die Tiefe wand, während der Gang, den sie bisher entlanggeschritten waren an zwei Stufen endete, die zu einer weiteren eisenbeschlagenen Tür führten. Doch sie öffneten diese Tür nicht, sie klopften nicht und sie warteten auch nicht davor, bis sie eingelassen wurden. Stattdessen stiegen sie weiter in die Tiefe hinab. Sie gelangten zu einem weiteren Gang. Hier gab es keine verschlossenen, verriegelten oder zugemauerten Kellerlöcher mehr. Der Gang führte schnurgerade geradeaus, bis er vor einer Tür endete, welche das Licht der Fackel beim Betreten des Ganges noch nicht erreicht hatte.
Vor dieser Tür blieb ihr schweigsamer Führer stehen. Er wartete kurz, dann gab er ein Klopfzeichen. Weder Captain Dracan, noch Arteilan versuchten, es sich zu merken. Es gab jeden Tag ein neues. Und für wahnwitzige Abenteurer lauerte hinter dieser Tür eh der Tod.
Die Tür schwang urplötzlich auf und vor ihnen stand ein grimmig dreinblickender Mann, der von der Statur her ein Zwilling ihres Führers hätte sein können. Auch er sprach kein Wort, sondern musterte die zwei Eindringlinge abschätzig. Schließlich trat er zur Seite und gab den Blick auf ein prachtvoll geschmücktes Kellergewölbe preis.
Dicke Säulen aus dunkelgrauem Stein stützten die hohen Decken. Hoch über ihnen war eine kreisrunde Öffnung, die das Ende des zugenagelten Brunnenschachts darstellte. Überall stand kostbares Mobiliar in keiner besonderen Ordnung. Hier fand sich ein Chaise Longe aus rotem Samtbrokat und mit goldenen Löwentatzen anstatt von Beinen, hier ein zierliches Tischchen aus Ebenholz, mit Intarsien aus Elfenbein und vollgestellt mit Flaschen voll bernsteinfarbener Flüssigkeit. Von irgendwoher erklang leise Musik. Überall standen Kisten und Truhen voll mit den Schätzen des Piratenkaisers. Waffen, mehr Prunkstücke als Kampfutensilien, waren an den Wänden und Säulen aufgehängt worden, dicke Perserteppiche dämpften jeden Schritt.
Und mitten in seinen Schätzen, wie eine untergewichtige, hungrige Kröte, thronte Joe Dafoe, der Piratenkaiser. Er saß auf einem Weinfass, das sagten Lhea die Kreidezeichen auf dem Holz. Herkunftsland Griace. Eine Rarität in diesen Gefilden. Joe Dafoe hatte die Beine übereinander geschlagen und die Hände auf dem Knie gekreuzt. Sein Körper war klein und mager. Er war mehr ein Piratenkaiserchen. Aus seinen blauen Augen sprach eiskalte Berechnung. Sein dünnes, graues Haar war mit viel Wasser an seinen großen Schädel geklatscht worden.
Mit überraschender Leichtigkeit sprang er vom Fass und landete elegant wie eine Katze auf einem kleinen Fleck Steinboden, welcher von den Teppichen freigelassen wurde. Er mochte es nicht, wenn eventueller Dreck von seinen Stiefeln auf die teuren Teppiche bröckelte. Obwohl dies unwahrscheinlich war, denn er verlies so gut wie nie seinen Prunksaal. Davon erzählte seine fahle Haut und seine kleinen Pupillen, für die das Kerzenlicht schon nahezu blendend war, welches für Lhea nur ein leichtes Dämmerlicht darstellte, in dem die ganzen Gold- und Silberschätze nur noch mehr funkelten.
Die beiden schweigsamen Kerle im Schrankformat stellten sich links und rechts an die Seiten von Joe Dafoe, verschränkten die Arme vor der Brust und schauten grimmig drein. Nur mit Mühe konnte Lhea ein Augenrollen unterdrücken. Joe Dafoe liebte die Dramatik. Mit einem kurzen Blick aus den Augenwinkeln wurde sie gewahr, dass noch zahlreiche andere Leibwächter ihre Posten entlang der Wände des Kellergewölbes bezogen hatten. Sie waren von einem großen, grobschlächtigen Tisch aufgestanden, an dem sie den Piratenkaiser im Glücksspiel gewinnen ließen, wenn dieser nicht gerade eine Audienz gab. Das Spiel um den zweiten Platz war dann das Spiel um den eigentlich ersten Platz. Jeder wusste, dass Joe Dafoe sich wiederum dessen bewusst war, dass man ihn gewinnen ließ. Er nahm es majestätisch hin und sah es als sein natürliches Recht als Piratenkaiser an. Lhea vermied es, mit ihm zu spielen, denn ihr fiel es schwer, ihn gewinnen zu lassen. Sie hasste es, wenn er absichtlich besonders waghalsige Risiken einging, nur um seine Spielkumpanen noch dümmer dastehen zu lassen, als sie sich ohnehin schon stellten.
Stille war eingekehrt. Jemand hatte die Musik verstummen lassen. In der Luft lag erwartungsvolle Spannung und von Sekunde zu Sekunde wurde die Stimmung eisiger. Schließlich regte sich Arteilan neben Lhea und auch der Captain ließ sich dann auf ein Knie nieder und beugte den Kopf vor Joe Dafoe.
“Piratenkaiser”, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie hasste ihn. Er war die Falschheit in Person. Eine hochgiftige Kreuzung aus Spinne und Schlange. Sein Netz umwob die gesamte Karibik und verdarb einem jeden das Piratenleben, wenn es ihm nicht passte. Ihm unterstanden ebenso viele Piratenjäger wie Piratenkapitäne und wenn ihm etwas nicht genehm war, konnte er die gesamte Karibik lahmlegen. Er war ein verdammter Freibeuter. Ein Speichellecker der britischen Krone und ein Vasall der noch viel schlimmeren Éspanier.
Lhea konnte den Tag kaum erwarten, an dem...
“Aber Ihr müsst doch nicht das Knie vor mir beugen, hochverehrter Captain Dracan!”, erklang sein dünnes Stimmchen. Wie eine Feder, die vorher gespannt gewesen war, schnellte Lhea wieder in die Höhe und ließ die alte Schlange nicht mehr aus den Augen.
Natürlich musste sie das Knie nicht vor ihm beugen. Aber sie hatte auch keine Lust, dass Mitglieder ihrer Crew wieder tagelang verschwanden und völlig verstört wiederkehrten, kurz bevor die Verheißung auslief, nur weil sie es nicht tat. Sie wollte nicht, dass Arteilan ihr tagelang wieder nicht in die Augen sah, weil er sie für ihren Stolz strafen wollte.
Captain Dracan schwieg. Man erwartete nicht, dass der Pirat zu dem Piratenkaiser sprach, bevor dieser es nicht ausdrücklich verlangte.
“Ein laues Lüftchen weht in der Karibik, habe ich gehört”, setzte Joe Dafoe an. “Guter Wind.” Er trat einen Schritt vor und begann dann, langsame Runden um die beiden Gäste zu ziehen. Dabei musterte er sie ununterbrochen von Kopf bis Fuß. Lhea spürte seine kalten Augen in ihrem Nacken und folgte ihm mit ihren Blicken, solange es möglich war, ohne dass sie den Kopf drehen musste. Sie wusste, dass er innerhalb von Sekunden jede Waffe an ihrem Körper entdeckt hatte und dass sie bei nur einer Bewegung ihrerseits von gut zwei Dutzend Kugeln durchbohrt sein würde.
“Man sagte mir, Ihr wärt überaus erfolgreich gewesen bei Eurer letzten Kaperfahrt. Drei Schiffe? Vier? Eine Seeschlacht? Eine Prügellei mit Blauhand? Und das alles, obwohl Ihr ohne Kiddy gesegelt seid?”
Lhea stieß zischend den Atem durch ihre Nase aus. Sie hatte geahnt, dass er etwas damit zu tun hatte! Wo ist er? Wo ist er?! Dieser vermaledeite Bastard! Sie wusste selbst nicht, ob sie innerlich nun Kiddy oder Joe Dafoe beschimpfte.
“Währenddessen gab es auch einige interessante Ereignisse auf Tortuga, kam mir zu Ohren. Ein Captain ist verschwunden. Mindestens. Man weiß es nicht so genau. Sein Schiff ist ohne Führung und doch scheint die Mannschaft auf irgendetwas zu warten. Es liegt gleich unten im Hafen. Die Mannschaft ist dauerhaft besoffen. Der Quartiermeister mein Stammgast. Wenn er betrunken zwischen meinen Mädchen hängt, faselt er etwas von Adlern und magischen Amuletten.”
Joe Dafoe kratzte sich den Nacken und stieß ein leises Hüsteln aus. “Der alte Gecko hat schon bessere Tage erlebt”, murmelte er schließlich.
Captain Dracan verengte die Augen zu Schlitzen. Dieses ewige um den heißen Brei reden entsprach nicht gerade ihrer Geduldsspanne. “Salamander?”, stieß sie schließlich heiser hervor und riskierte damit ihre und Arteilans Gesundheit, da sie nicht zum Sprechen aufgefordert worden war. Doch der Graf war guter Dinge. Die Schlange hatte Spaß an ihrem Spiel.
“Achja, die Salamander. Tja, in der Tat. Der Graf ist verschwunden. Und die Crew wartet auf einen geheimnisvollen Nachfolger.”
In ihrem Kopf wiederholte Lhea rasend schnell alle Daten, die sie über die Salamander wusste. Brigantine. Nicht mehr die neuste, aber gut in Schuss. Edles Mobiliar. Achtzehn Kanonen stark, etwa vierzig Mann Stammbesatzung, auf Kaperfahrt mehr. Wendiger als die Verheißung, dafür aber von jedem Anfänger zu segeln und weniger behaftet von Gräuelgeschichten.
Und sie hatten ein ganz besonderes Crewmitglied.
“Wer wird der Nachfolger sein?”, fragte Captain Dracan, nachdem das Schweigegebot aufgehoben war, Joe Dafoe genug Show abgezogen hatte und das Gespräch beginnen konnte.
“Man sagt, es bleibe in der Familie.”
“So?”
“So.”
Lhea schwieg. Sie juckten zwei ganz andere Fragen. Und eine davon hatte etwas mit diesen Wölfen zu tun, die ihr nicht mehr aus dem Kopf gingen. Hier lief irgendetwas mächtig falsch.
“Freibeuter?”
“Oh, ich verstehe!” Joe Dafoe lächelte schmallippig. In den Schatten an der Wand des Kellers regten sich einige nervösere Zeitgenossen. Das war die falsche Frage gewesen. Nicht mehr davon. “Darüber muss ich noch nachdenken.” Lhea hätte ihm am liebsten umgehend in seinen hässlichen, schmallippigen Mund gegriffen und ihm eigenhändig die Zunge herausgerissen. Er spielt mit ihr. Und er wusste, dass sie nichts dagegen machen konnte, wenn er ihr nicht das sagte, was sie wissen wollte. Er gab ihr immer nur so viele Informationen, wie er für sich selbst am interessantesten befand. Das konnte mal mehr sein, als sie wissen wollte und mal weniger, als sei wissen sollte.
“Interessante Dinge geschehen zurzeit in der Karibik”, sinnierte dieser alte Geier plötzlich und sah träumerisch in die Luft. Doch einen Augenblick später, haftete sich sein eisiger Blick wieder auf seinen Besuch, als erwarte er eine bestimmte Reakion. Doch Captain Dracan tat ihm diesen Gefallen nicht.
Das einzig Gute an Joe Dafoe, abgesehen von seinem Posten als meistgehasster Mann der Karibik, war, dass er unglaublich gern redete. Er wusste über vieles Bescheid, doch konnte er damit nur schwer angeben, wenn er sein Wissen nicht zumindest bruchstückhaft teilte. Und wenn er schon so begann, dann wusste Lhea, dass sie einfach nur noch schweigen, zuhören und dann so schnell wie möglich abhauen musste.
“Kapitäne, Schiffe, ja - ganze Besatzungen verschwinden! Viele Stürme. Interessante Fracht auf den Schatzschiffen. Ungewöhnliche Passagiere sind gesehen worden. Wesen aus der alten Welt.”
Sein Blick haftete für eine Weile auf Arteilan und Lhea stellte erleichtert fest, dass er immernoch nicht herausgefunden hatte, was es mit ihrem Steuermann auf sich hatte. Es juckte ihn unheimlich, das zu wissen und zu seinem Wissensschatz hinzuzufügen. Aber diesen Gefallen würde sie ihm sicher nicht tun. Damit gefährdete sie nur das Leben ihres treusten Gefährten. Und dennoch - Joe Dafoe hatte eine Ahnung. Und wenn er nur eine Ahnung hatte und etwas nicht ganz genau wusste, war er nur noch viel gefährlicher. Entweder er wusste alles über eine Sache oder nichts, dann hatte man am ehesten Ruhe vor ihm.
“In Santo Domingo soll es eine Unruhe gegeben haben. Ein Kampf gegen Untote. Man sagt, darin sei ein Mensch tierischer Abstammung verwickelt gewesen. Ungewöhnlich für diese Gegend. Ein Landtier, nicht hier beheimatet. Ein Bär?”
Ein eiskalter Schauer lief Lhea über den Rücken. Sie konnte beim besten Willen nicht sagen, ob Joe Dafoe nicht den geringsten Schimmer hatte und versuchte, Informationen aus ihr herauszukitzeln oder ob er über alles im Bilde war und versuchte herauszufinden, ob sie ihn schon hinter all diesen Geschehnissen vermutete. Doch was hätte dies für ein Sinn für ihn gehabt, Spitzel bei ihr unterzubringen? Er wusste doch, dass Spitzel auf der Verheißung ein kurzes Leben hatten. Und er würde niemals einen so wertvollen Kämpfer wie einen Werwolf opfern. Oder? Was hatte er vor mit ihr?
“Zwei Bären!.”
Captain Dracan sah auf.
“Nein, es waren Großkaten...”
Ihr Blick huschte zu den Gestalten im Schatten des Kellergewölbes.
“Es sind Werwölfe. Und ich will sie haben.”
Das genügte Lhea. Sie sah Joe Dafoe direkt in die Augen. Er hatte keine Ahnung. Er hatte nichts mit der Sache zu tun. Seine Sammlerleidenschaft hatte ihn verraten. Er wollte diese Geschöpfe. Genauso, wie er ihre Gestaltwandler wollen würde, wüsste er von ihnen. Und sie tat ihr bestes, dass niemand dieser Art in seine Hände geriet. Denn er würde sie sich erst halten wie Haustiere und sie dann, wenn sie für ihn langweilig geworden waren, an Freibeuter weitergeben, die sie für ihre Zwecke einsetzten. Und Captain Dracan dachte gar nicht daran, der Konkurrenz diesen Gefallen zu tun. Sie würde dafür sorgen, dass diese Bedrohung ihres Handwerks von der Bildfläche verschwand, sobald sie hier raus war. Sie hatte ihn auf Hispaniola seiner Wege gehen lassen. Er war sicher immer noch da und suchte mit gebrochenem Herzen nach seinem Mädchen. Er hatte mit Sicherheit herumgefragt. Das würde ihn leicht aufzuspüren machen.
Scheinbar desinterssiert zuckte Captain Dracan die Schultern. Die Zeit rannte. Wahrscheinlich war schon ein Schiff auf dem Weg nach Hispaniola. Verflucht! Er durchkreuzte ihre Pläne! Und sie konnte keine wertvollen Tage entbehren. Sie hatte andere Verpflichtungen. Warum musste dieser dumme Köter ausgerechnet jetzt in der Karibik aufkreuzen und sich dann auch noch auf ein Schatzschiff hocken, das direkt in die Arme der Piraten segelte. Und welcher verdammte Idiot auf Hispaniola hatte dieses Gerücht nach Tortuga tragen können? Sie waren schnell gesegelt, dem Sturm im Nacken. Wie hatte Joe Dafoe davon erfahren können, bevor sie Tortuga erreichten? Immerhin konnte sich Captain Dracan nun ziemlich sicher sein, dass ihre Crew in dieser Hinsicht weitestgehend integer war.
“Wäre das nicht herrlich?” Lhea zuckte fast zusammen, als sich sich dessen bewusst wurde, dass Joe Dafoe die ganze Zeit lang weitergeredet und sie nicht zugehört hatte. Hoffentlich war ihr nichts Wichtiges entgangen. “Blutrünstige Biester, meine eigenen Leibwächter! Ich könnte einen von ihnen zu meiner rechten Hand machen.”
Wie gefährlich war das Mädchen in seinen Händen?
“Ich könnte den anderen von ihnen der Krone als kleine Aufmerksamkeit darbringen. Ein tödliches Gift in den Venen. Schließlich sollen sie es nicht gegen meinesgleichen einsetzen können.”
Würde er hinter einer Frau einen Werwolf vermuten?
“Dann muss ich nicht immer wieder ganze Schaluppen zur Strecke bringen, damit meine Arbeit als getan gilt. Das lenkt sie für eine Weile ab.”
Vielleicht war es in dieser Hinsicht doch gar keine so schlecht Idee, ihm die Sache mit den Werwölfen zu überlassen.
“Oder ich finde mehr von ihnen und züchte eine Armee.” Ein widerwärtiges Glitzern erschien in seinen Augen. Dieses machthungrige Ekel! Er war nur aus Ehrgeiz Piratenkaiser geworden, nicht aus Leidenschaft wie sein Vorgänger. Sie Vorgänger hatte ein eigenes Schiff besessen und war wie seinesgleichen über die Ozeane gesegelt. Er hatte sein Leben genauso riskiert, wie jeder seiner Piraten. Lhea knirschte mit den Zähnen. Ihre Knöchel knackten. Der vorherige Piratenkaiser, nur wenige Monate in seinem Amt, war an die Éspanier verraten worden. Doch nicht von Joe Dafoe, wie es üblich war. Das wusste Lhea Dracan. Sonst hätte sie ihn wirklich schon längst umgebracht. Sie war nachwievor auf der Suche nach dem Verräter ihres Vaters. Brandyn Dracan wäre der beste Piratenkaiser geworden, den die Karibik jemals gesehen hatte. Wäre er nur länger im Amt gewesen.


Wäre Captain Dracan größer an Statur gewesen und hätte dadurch über längere Beine verfügt, wäre es mit Sicherheit ein Problem gewesen, mit dem Piratenkapitän schrittzuhalten, so energisch schritt er jetzt aus. Doch er mochte ja mit vielen Fähigkeiten oder körperlichen Vorteilen gesegnet sein - Größe zählte nicht dazu. So war es seinem Steuermann möglich weiterhin gemütlich zu schlendern, während Captain Dracan einer sturmdurchwirbelten Woge gleich eine der Gassen Tortugas hinabfegte.
Jedoch muss dazu erwähnt sein, dass Captain Dracan keinesfalls rannte. Das entsprach nicht dem Verhalten eines geachteten und gefürchteten Piratenkapitäns. Doch als gemächlich konnte man dieses Tempo auch nicht bezeichnen.
An dem Eingang einer Taverne trennten sich Kapitän und Steuermann. Während Captain Dracan weiter in Richtung des Hafens schritt, betrat Arteilan die schummrige Schenke. Doch anstatt an den Tresen zu treten oder sich an einem der grobschlächtigen Tische niederzulassen, nickte der Hüne nur kurz dem Wirt zu, trat dann in ein Hinterzimmer, durchquerte es mit zwei Schritten, stieß die Tür zum Hinterhof mit einem leichten Wink seiner linken Hand auf, trat wieder hinaus in die karibische Nacht, kletterte über die Mauer wie über eine Wirtshausbank, fand sich in einer weiteren Gasse wieder, folgte dieeser nach rechts, bog in eine weiter Gasse nach links, in die nächste nach rechts und blieb gerade rechtzeitig im Schatten an der nächsten Kreuzung stehen, um seinen Captain nicht über den Haufen zu rennen, welcher seinen eigenen Weg nicht verlassen hatte und immernoch energisch in Richtung Hafen schritt. Arteilan schloss sich jedoch nicht Lhea an, sondern wartete, bis ihre leisen Schritte gänzlich in der Nacht verklungen war.
Dann lauschte er.
Ein leises Trappeln war zu hören, dann huschte eine Gestalt rasch auf die Kreuzung zu, Captain Dracan hinterher. Doch weiter kam jene Gestalt kaum, denn dann beförderte Arteilan sie mit einem mächtigen Hieb ins Reich der süßesten Träume und setzte ebenfalls seinen Weg in Richtung des Hafens fort. Lhea hätte es vermutlich als einen netten Versuch bezeichnet. Arteilan schwieg sich wie gewohnt darüber aus.
Eigentlich wäre der Steuermann jetzt gemäß seiner Gewohnheit seinem Captain aufs Schiff gefolgt. Jedoch verfügte er über eine weitaus feinere Wahrnehmung der Wesen in seiner Umgebung und so bemerkte er, was seinem Captain entging und folgte stattdessen den Piers und Docks in Richtung einer kleinen, etwas merkwürdigen Versammlung.
Dort lehnte der völlig betrunkene Smutje der Verheißung an Cysêth Naman, dem Mann, den bereits ein Großteil der Karibik suchte, ohne zu wissen, dass er sich unter aller Augen auf Tortuga aufhielt. Und bei ihnen stand auch Aurora, die geheimnisvolle Heilerin aus Aeropia, die seit kurzem unter Captain Dracans Befehl stand und den Status einer Unantastbaren genoss.
Während der Captain schnell eine Verschwörung gewittert hätte, glaubte Arteilan jedoch vielmehr an den Zufall, welcher jene Situation tatsächlich war und trat schweigend zu der kleinen Gruppe.
Ein leises "Achdujemine!" entfuhr dem Schiffskoch und er sah den Steuermann mit großen Augen an, der wie aus dem Nichts erschienen war und alle drei seelenruhig ins Auge fasste, ohne jeglichen Kommentar zu der Situation abzugeben.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:19 am

Steffie
„Wir sollten zusehen, dass wir Dich wieder an Bord schaffen“, überlegte Aurora an den Schiffskoch gewandt und strich besorgt mit der Hand über Noahs Schulter. Dann fiel ihr Blick auf Cysêth und sie fragte sich, ob er auch mit zu kommen gedachte oder Dracans Crew lieber fern bleiben wollte. „Was ist mit Dir?“, richtete sie aus diesem Grund ihre Frage an ihn.

Doch augenblicklich wurde sie still und warf einen vorsichtigen Blick in die dunkle Gasse vor ihnen, aus der sie schwere Schritte zu vernehmen glaubte. Dieser Verdacht bestätigte sich rasch, denn den Schritten ging ein dunkler Schatten voraus und vorsorglich wich Aurora einen Schritt zurück, die Hand auf den Knauf ihres Degens gelegt, obgleich sie damit nicht umgehen konnte und dies ohnehin sinnlos war, wie sich sogleich heraus stellte. Dicht gefolgt von Noahs „Achdujemine“ zeigte sich eine bekannte Gestalt aus den Schatten und Aurora atmete erleichtert aus, als sie den Steuermann der Crew erkannte.

Sofort trat sie wieder näher an ihre beiden Begleiter heran und fasste stirnrunzelnd Cysêth ins Auge. Was Arteilan wohl von dieser Zusammnkunft halten würde? Aus seinem Gesicht konnte sie jedenfalls nichts heraus lesen, denn es war ebenso ausdruckslos wie seine Augen, die sie alle drei bedachten. Und doch hatte sie irgendwie das Gefühl, dass sein Hauptaugenmerk auf Cysêth lag. Denn der passte ganz offensichtlich so gar nicht in dieses Bild. Das erkannte sogar Aurora, auch wenn sie nicht wusste, was vorgefallen war, während sie mit den anderen am Strand zurück geblieben war.

„Ich hoffe, Du hast keine Dummheiten gemacht“, raunte sie in Cysêths Ohr, denn auch wenn sie Arteilan kaum kannte, was bei seiner ruhigen Art ohnehin schwierig war, konnte sie sich doch denken, dass es klüger war, es sich nicht mit ihm zu verscherzen.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:19 am

Alex
Cysêth wählte die Stille, obgleich sich viele Gedanken in seinen Kopf schlichen. Taktisch wäre es allerdings unklug gewesen, zu fragen, warum man die junge Frau noch nicht längst an Sklavenhändler verkauft hatte. Er wunderte sich, wo sich wohl Squinter und Lamignon herumtrieben, denn aus ihnen hätte man mit Sicherheit einiges mehr heraus bekommen als aus dem trunkenen Küchenchef und der ohnehin immer schweigsamen Frau. Also entschied er sich dafür, seine Gedanken wohlweislich bei sich zu behalten, und nickte ihre Feststellung, dass sie Noah am besten wieder an Deck brächten, ab.
Als Aurora allerdings die Frage stellte, ob er mit an Bord käme, bildete sich eine steile Falte zwischen seinen Brauen. Die Frage war in ihm auch bereits hochgekrochen. Brächte er den Schiffskoch zurück an Bord, war davon auszugehen, dass er nicht lebend oder gar nicht mehr vom Schiff herunter kommen würde, je nachdem wie viel Glück er hatte und ob er auf Lhea treffen würde.
Nun allerdings musste er sich wohl oder übel dieser Frage stellen. Was blieb ihm denn noch? Tortugas Rum war zwar empfehlenswert und hatte ihm den ein oder anderen fantastischen Rausch beschwert, doch es zog ihn immer und immer mehr fort von hier. Mireille war nicht mehr hier, dessen war er sich inzwischen sicher. Was ihn also hier noch hielt, war nichts. Lediglich Schall und Rauch. Und die Ungewissheit, was unter dem Segel eines anderen Schiffes auf ihn warten würde. Warum also nicht die Verheißung?
Nun, der Captain war nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen. Aber das war ja eigentlich ganz amüsant.

Abrupt wurde er in seinen Überlegungen gestört, als der Schatten der gegenüberliegenden Gasse deutlich länger wurde und sich langsam eine Gestalt aus seiner dunklen Umarmung schälte. Überrascht stellte Cysêth fest, dass es sich um Arteilan, den Hünen und Steuermann der Verheißung handelte, einen der scheinbar engsten Vertrauten des Captains.
Was machte dieser Mann hier und wieso war er gerade auf sie gestoßen? Cysêth glaubte nicht an einen Zufall. Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu.
Auf Auroras Frage hin schüttelte er nur ganz kurz den Kopf. Dummheiten? Nicht, dass er sich erinnern konnte. Außer... nun ja, da gab es schon einiges, was ihm zugesagt werden könnte. Aber was hatte der Hüne damit zu tun? Cy hatte mit diesem Mann Seite an Seite gekämpft, und der Steuermann hatte sich niemals ein Hauch Emotionen anmerken lassen.
Die Falten auf seiner Stirn glätteten sich langsam, als er ein paar Schritte auf den Steuermann zuging. Sie waren nur ein paar winzige Zentimeter davon entfernt, auf einer Augenhöhe zu sein.

Cy musterte Arteilan und zwang sich dann ein Lächeln auf die Lippen. "Versteht unsere Zusammenkunft nicht falsch, Arteilan. Ich bin nur zufällig auf diese beiden hier gestoßen und konnte es Noah nicht zumuten, sich in seinem Zustand von der Mauer zu stoßen."
Eine Idee nahm langsam Form an in seinem Kopf. Warum eigentlich nicht? Was sprach dagegen? Was hatte er schon zu verlieren? Außer seinem Kopf? Viel schlimmer als jetzt konnte es eigentlich gar nicht mehr werden.
"Ich möchte mit dem Captain sprechen. Ich habe einen Vorschlag zu machen."
Er hörte Noah hinter ihm nach Luft schnappen, doch Cy schaute Arteilan weiterhin fest ins Auge, auf der Suche nach einem winzigen Signal, was der Hüne wohl denken mochte.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:20 am

Debbie
Arteilans einzige Reaktion auf Cysêth Namans überraschende Forderung war, dass er einen Schritt zur Seite tat, um den Wolfsmann passieren zu lassen. Der trunkene Smutje, schwer auf Cysêths Arm gestützt, übernahm die Führung zu dem Dock, an dem die Verheißung vertäut war.
Die missmutige Miene eines wachehabenden Piraten wechselte rasch von Misstrauen zu Erstaunen, als er die kleine Gruppe herannahen sah. Der Steuermann, der mehr torkelnde als herannahende Noah, die Heilerin und dieser seltsame Kerl, der der halben Crew zweimal einen Heidenschreck eingejagt hatte, als er sich plötzlich in ein pelziges und mit Fängen versehendes Ungetüm verwandelt hatte.
Der Wachmann stieß einen kurzen Pfiff hervor und wenige Sekunden später stand schon der Geschützmeister Adams neben ihm an der Reling, der den Auftrag hatte, die Leute zu bewachen, die das Schiff bewachten. Dies tat er auf recht kollegiale Art und Weise, indem er es ihnen gestattete an Deck zu würfeln und sich dabei schon einmal ein wenig auf Tortugas Spielhöllen einzustimmen.
Adams runzelte leicht die Stirn, während er dem Wachmann half eine mit Trittbrettern versehene Planke über die Reling zu schieben, damit die Piraten nicht an der Bordwand hochklettern mussten.
Er trat mehr oder weniger unbewusst einen Schritt zurück, als Arteilan zuerst an Deck trat, musterte das Noah-Cysêth Konstrukt gespannt und reichte dann Aurora die Hand, als sie zuletzt an Bord kam.
Während Cysêth und Noah Arteilan unter Deck folgten, hielt er die Heilerin kurz am Handgelenk zurück und raunte ihr fragend zu, was da im Gange sei.

Die dicken Planken, aus denen die Verheißung gezimmert war, verschluckten schnell die nächtliche Geräuschkulisse von Tortugas Hafen. Hier hörte man vielmehr das leise Knarren des Holzes und der Takelage, das Entlangstreichen des Windes an der Bordwand und das leise Gluckern der Hafenbracke, die gegen den Schiffsrumpf schwappte. Es roch das Nässe, Salz, Schießpulver und Kerzenwachs.
Noah rülpste leise im Dunkeln, was Arteilan dazu veranlasste, den Schiffskoch kurzerhand in seine Kombüse zu verfrachten. Dort sank Noah kopfschüttelnd auf einer Kiste zusammen, die unter ihm leise knackte, und sah Cysêth aus glasigen Augen an, bevor der Steuermann die Tür zwischen ihnen schloss.

Captain Lhea Dracan saß an dem großen Kartentisch in der Mitte der Kapitänskajüte, an dem auch schon ihr Vater gesessen hatte und starrte die Umrisse der Insel, die Hispaniola darstellten, so intensiv an, als könnte der ledrige Kartenstoff ihr höchstselbst verraten, wie die Nachricht von dem Werwolf schneller als sie von der einen zur anderen Insel gelangt war.
Auf dem Tisch stand eine angebrochene Buddel Rum, daneben lagen Lheas zwei Pistolen und der Gürtel mit ihren Messern. Zwischen den Seiten des aufgeschlagenen Logbuchs lag der Tabak ihrer Pfeife, welche jedoch weiterhin in einer Tasche ihrer Kapitänsjacke ruhte. An Bord der Verheißung wurde keine Pfeife geraucht. Das war bei dem vielen eingelagerten Schießpulver viel zu riskant.
Lheas breitkrempiger Kapitänshut hing über die Stuhllehne, das Tuch, welches sie bei Landgang und Entergängen über Mund und Nase zu tragen pflegte, hing ihr lose um den Hals. Das Haar war zerzaust, weil sie es sich in einem kurzen cholerischen Anfall gerauft hatte, nachdem sie die Doppeltür zur Kapitänskajüte hinter sich geschlossen hatte.
Lhea knallte die Handflächen auf den Kartentisch und stützte sich schwer über die filigranen Zeichnungen. Dieser Tisch war ein wahrer Schatz. Es gab weitaus präzisere Karten, nach denen Portuguese auch das Schiff navigierte, doch Lhea griff viel lieber auf dieses Erbstück ihres Vaters zurück, welches die Übernahme durch die Éspanier überlebt hatte. Nur leider konnte der Tisch nicht sprechen. Kein Wort. Lhea schnaubte entnervt und schloss kurz die schmerzenden Augen, die Lippen fest aufeinander gepresst. Hinter ihren Schläfen hämmerte es nur so und so nahm sie im ersten Moment das Pochen an der Tür gar nicht wahr.
Dann jedoch hob sie den Kopf, ohne sie von ihrer Position über ihren Karten zu erheben, und rief den Störenfried herein. Lheas Knöchel traten weiß hervor, als Arteilan neben die Tür trat, durch welche er sich soeben hindurchgebückt hatte, und hinter ihm Cysêth Naman zum Vorschein kam.
Einen kurzen Moment hatte sie fast das Bedürfnis sich zu setzen. Oder die geladene Pistole gleich neben ihrer rechten Hand zu greifen und abzufeuern.
Abwartend sah sie den Eindringling an. Sie hatte gerade wenig Lust von jeglicher Etikette Gebrauch zu machen und ihn zum Reden aufzufordern. Sie starrte ihn nur mit scheinbar unbewegter Miene aber mit zusammengebissenen Zähnen an und ging innerhalb von wenigen Sekunden alle Möglichkeiten durch, die sich ihr nun darboten.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:20 am

Alex
"Hallo Captain", sagte Cysêth leise mit einem leichten Lächeln auf den Lippen ob der Miene des Captains. Wahrscheinlich hatte sie alles andere als ihn erwartet. Er trat ein paar Schritte näher, seine Augen huschten kurz über ihre zur Faust geballten Hände, die gefährlich nahe an ihrer Pistole weilten.
"Geht es deinem Fuß besser?" So scheinheilig wie möglich lächelte er sie an, doch ihre Miene lockerte sich kein bisschen auf, wurde höchstens nur noch ein wenig angespannter. Sofort verblasste das Lächeln auf seinem Gesicht, Cys Miene wurde ernst.
Er holte rasch Luft und sah ihr dann fest in die Augen."Ich habe dir ein Angebot zu machen." Zu spät bemerkte er, das er Lhea duzte. Das würde unangenehm werden. Aber ändern konnte er es jetzt nicht mehr. Und erst recht nicht ihre Laune. Was war der gefürchteten Lhea Dracan wohl über die Leber gelaufen, dass sie so ein Gesicht machte?
"Ich bin seit Wochen auf der Suche nach Mireille und habe sie nirgendwo gefunden. Meine Freiheit ebenso wenig. Und ich bin mir recht sicher, dass ich sie auf diese Weise nicht finden werde. Ich habe dir also ein Angebot zu machen. Ich habe einen guten Kämpfer und zwei starke Arme zu bieten, im Tausch gegen einen Platz auf diesem Schiff und einen Schlafplatz. Es tut mir leid, was passiert ist. Aber ich habe mich zwischen deinen Piraten wohler gefühlt als in den Monaten mit Mireille."
Er schwieg und wandte seinen Blick von Lheas Augen ab, wanderte über die auf dem Tisch ausgebreiteten Karten. Jegliche Arroganz war aus seiner Stimme verschwunden. Denn er hatte lediglich die Wahrheit gesagt.
Es war tatsächlich so. In all den Monaten, in denen er mit Mireille zusammen gewesen war, war er zwar glücklich gewesen, denn er hatte sie geliebt, aber dennoch konnte er nie darüber reden, was er wirklich dachte. Unbeschönigt, ohne jegliche Lügen. Es hatte gut getan, sich mit Lamignon, Squinter und Noah auszutauschen. Und Piraten waren nicht einmal annähernd so schrecklich, wie viele von ihren dachten. Sie waren nur schreckliche Klatschweiber.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:20 am

Debbie
Lhea senkte den Blick und knirschte mit den Zähnen. Was bildete sich dieser vermaledeite Flohpelz eigentlich ein erst ihr Ehrgefühl und jetzt auch noch ihr nicht vorhandenes Mitgefühl zu beanspruchen? Erst wollte er alles tun, um endlich mit seiner Freiheit im Gepäck von den Piraten loszukommen und nun wollte er plötzlich Seeluft schnuppern und Pirat spielen?
Sie hatte große Lust, diesem zu lang geratenen Jungen ordentlich den Kopf zu waschen. Doch so hitzköpfig der Captain der Verheißung auch war, er war auch in der Lage strategisch schnell umzudisponieren. Und die in diesem Augenblick ausgearbeitete Strategie sah es nicht vor, einen Wolf mit einem Eimer Seife vom Piratenschiff zu jagen.
Was in diesem Moment in der Kapitänskajüte der Verheißung geschah, war durchaus ungewöhnlich, denn plötzlich hob Captain Dracan den Kopf und nickte dann einfach. Mehr nicht.
Sie trat an eine schwere, eichene Kommode, zog eine der Schubladen auf, aus der sofort ein unheilbares Chaos an Pergament hervorquoll, strich einige Karten und Aufzeichnung beiseite, betrachtete kurz stirnrunzelnd ein ledernes Säcken, dessen Herkunft vorerst ungeklärt bleiben sollte, und zog dann einen etwas zerknitterten Piratenvertrag hervor.
Jener war in einst in vielfacher Ausführung und schnörkeliger Schrift vom Navigator des Schiffs aufgesetzt worden und umfasste zehn Punkte sowie einen Teil, in dem genug Platz war, um zu unterschreiben und ein Siegel zu hinterlassen. Diese zehn Punkte waren ebenso einfach, wie sie effektiv waren. Sie verpflichteten die Piraten zu Gehorsam Höherrangigen gegenüber, gaben jedem eine gleichwertige Stimme bei Entscheidungen sowie das Anrecht auf einen gerechten Teil an Proviant und Schnaps und eine Entschädigung bei Verletzungen, untersagten das Spiel um Geld und das Austragen von Streitigkeiten an Bord, verpflichteten zur Löschung des Lichts nach acht Uhr abends auf der See, drohten mit Tod oder Aussetzen bei Verrat oder beim Verlassen des Postens im Kampf, verplichteten dazu, die Waffen immer gefechtsbereit zu halten und drohten jenen eine harte Strafe an, die an Bord einen Diebstahl oder Betrug begehen sollten.
Captain Dracan ließ das zukünftige Crewmitglied einen sorgfältigen Blick auf das Dokument werfen, ließ ihn dann ein Kreuz anstelle seines Namens machen, da er des Lesens nicht mächtig war, und suchte dann ein Stück rotes Wachs, einen angelaufenen Silberlöffel und schließlich einen Ring aus einer weiteren Schublade hervor.
Schweigend erhitzte Lhea das Stück Wachs in dem Löffel, träufelte es dann auf das Pergament, um sofort darauf den Ring in das noch heiße Wachs zu drücken. Zurück blieb das Symbol eines sich windenen Seedrachens, welcher auch das Armband zierte, das sowohl Arteilan als auch Aurora trugen. Ein weiteres Mal wiederholte Lhea die Prozedur des Wachserhitzens, weiterhin ohne ein Wort zu sagen oder Cysêth Naman, das neue Crewmitglied, auch nur zu beachten.
Mit ihrer freien Hand rollte sie das Pergament zusammen, hielt das Ende fest an das bräunliche Papier gedrückt und träufelte dann wieder etwas Wachs auf den Verschluss, damit es sich nicht wieder entrollte. Völlig unvermittelt griff sie nach Cysêths Hand und drückte seinen Zeigefinger in das heiße Wachs. Als sie seine Hand danach von sich stieß, als habe er eine ansteckende Krankheit oder sie nur der Verachtung wert, blieb sein Fingerabdruck wie ein dunkelrotes Siegel auf der Schriftrolle zurück.
"Willkommen auf der Verheißung, Naman", knurrte der Captain und sah Cysêth kurz fest in die Augen, als könnte sie damit unterstreichen, dass er nun an dieses Schiff und ihren Befehl gebunden war.
"Da dir zu diesem Zeitpunkt keinerlei Belohnung zusteht, wirst du die nächsten Tage meinem direkten Befehl unterstehen. Du betrittst und verlässt das Schiff nicht ohne meinen ausdrücklichen Befehl und wirst mich bei der Vorbereitung der nächsten Enterfahrt unterstützen. Um unnötige Unruhe unter dem momentan versoffenen Pack zu vermeiden, wirst du von nun an ein Tuch über Mund und Nase tragen und mit niemanden sprechen, bis wir wieder auf See sind. Sollte ein Crewmitglied von höherem Rang nach dem Grund deines Aufenthaltes an Bord fragen, so sage, dass du in meinem persönlichen Dienst stehst. Oder sage besser gar nichts.
Dir stehen eine angemessene Versorgung und ein Schlafplatz unter Deck zu, sowie ein Krug Schnaps und vier Krüge Wasser täglich.
Jegliche Seefahrtserfahrungen? Kannst du eine Waffe abfeuern?"
Captain Dracan maß ihn von Kopf und Fuß. Er war mit Sicherheit ein Kerl, der gut zupacken konnte und sich nicht vor einem Kampf scheute. Doch sie fragte sich, ob er den nötigen Gehorsam und die Disziplin besaß, das Leben und Arbeiten an Bord eines Schiffes zu erlernen.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:20 am

Steffie
Schweigend beobachtete sie die Zusammenkunft mit Arteilan und fragte sich, was sie von all dem halten sollte. Auf Cysêths Bitte hin, mit dem Captain sprechen zu dürfen, legte sich ihre Stirn für einen Moment in Falten, dann hörte sie Noah neben sich nach Luft schnappen und sie bedachte Arteilan mit fragendem Blick, doch eine Antwort von ihm war, wie so oft, nicht zu erwarten. Statt dessen setzten sich die drei Männer in Bewegung und Aurora folgte ihnen mit einigem Abstand, in der Hoffnung auf eine Gelegenheit, Cysêth alleine sprechen zu können, denn zu sehr brannte die Neugier in ihr, wie es ihm ergangen war.

Doch zu einem solchen Gespräch unter vier Augen sollte es so schnell nicht kommen, wie sich schon bald heraus stellte. An Bord der Verheißung angekommen, ließ sie den Männern den Vortritt und stieg selbst als Letzte die bereit gelegte Planke hinauf. Dankend nickte sie Adams zu, der ihr seine Hand zur Hilfe anbot und fragte sich einmal mehr, ob sie bisher die richtige Einschätzung besessen hatte, was Piraten anging. Doch sogleich wollte sie weiter, den Dreien hinterher. Vielleicht konnte sie aus Noah etwas heraus bekommen, doch Adams hielt sie fest. So blieb sie stehen, wandte sich ihm zu und sah ratlos zu ihm hinaus, nachdem er seine Frage gestellt hatte. Dann zuckte sie mit beiden Schultern. „Das möchte ich auch zu gerne wissen“, erklärte sie dem Geschützmeister und sah wieder hinüber zu Arteilan, der soeben dabei war, den betrunkenen Schiffskoch in seine Kombüse zu befördern.

Dann folgte ihr Blick Arteilan und Cysêth, die beide in der Kapitänskajüte verschwanden und Aurora schüttelte langsam den Kopf, als sie wieder zu Adams sprach. „Zu gerne würde ich wissen, was er so dringend zu bereden hat“.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:20 am

Alex
Cysêth war überrascht von Lheas Reaktion. Er hätte einen hysterischen Ausbruch erwartet, dass sie ihn anschrie oder von Bord werfen ließ, oder etwas Ähnliches. Das hätte ihn beruhigt. Aber das hier, das war sehr absonderlich. Er hätte niemals eine derartige Reaktion erwartet und war äußerst beunruhigt. Was war nur passiert, dass sie ihn ohne etwas zu sagen einfach der Crew beitreten ließ?
Doch eigentlich konnte es ihm egal sein. Umso besser, dass sie keine Fragen stellte, sondern ihn als Piraten in die Mannschaft aufnahm.
Nachdem er seinen Finger in das heiße Wachs gepresst hatte, dachte er das erste Mal darüber nach, was er eigentlich gerade tat. Er hatte sich damit ihrem Regime ergeben, musste nun jedem Befehl folgen, den sie ihm gab. Er war verpflichtet, Schiffe zu entern und Unschuldige zu töten, nur um sich damit zu bereichern. Er war jetzt offiziell ein Pirat.
Auf Lheas Forderungen hin nickte er nur leicht. Wenn er eins nicht wollte, war, dass die Piraten ihre Klatschweiber-Talente auf ihn ausweiteten. Und, Juanito zu begegnen. Ihre Erwähnungen hinsichtlich des Schnapses zauberten ihm allerdings wieder ein leichtes Lächeln aufs Gesicht. Immerhin kannte er schon so einige, mit denen er seinen Krug teilen konnte. Er war bereits auf Squinter und Lamignons Gesicht gespannt, wenn er ihnen als frisch gebackener Pirat gegenüber trat.

Auf Lheas Frage hin antwortete er nur mit einem leichten Schulterzucken. "Ich bin an Bord eines Schiffes nach Tortuga gekommen, doch darüber hinaus...nein. Man hat mich gelehrt, mit einer Waffe zu kämpfen, aber ich bevorzuge den Kampf mit meinen eigenen Waffen." Ein wölfisches Grinsen zog sich über seine Lippen. "Ich denke, ich sollte an Bord lieber darauf verzichten, mich zu verwandeln?"
Er wartete die Antwort des Captains nicht ab, sondern redete sofort weiter.
"Eins noch, Captain. Für gewönlich kann ich eine Verwandlung kontrollieren - wenn ich genug Fleisch essen kann. Ich möchte dich bitten, mir zu erlauben, auf Tortuga zu jagen und mir einen Vorrat anzulegen, damit ich deine Männer nicht..."
Cysêths Lächeln war verschwunden. Erst heute Morgen hatte er gesehen, dass es um den Fleischvorrat in seinem Beutel schlecht bestellt war. Darüber hinaus hatte er wenig Bestreben, einem dieser Piraten in den ungewaschenen Hintern zu beißen.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:20 am

Debbie
Der GeschützmeisterAdams nickte und blickte ebenfalls nachdenklich auf die mit dicken Glasscheiben versetzte Doppeltür, welche unter Deck und in Richtung der Kapitänskajüte führte. Er strich sich eine lose Strähne hinters Ohr und presste dann die Hand in den Nacken. Er hatte zu lange den Blick auf die Holzkiste gesenkt gehalten, auf der mit der Nachtwache der Verheißung gewürfelt hatte.
Dann schüttelte er den Kopf und sah von der Seite her die Heilerin an.
"Kannst du würfeln?" Er lächelte. Seine Wache würde noch eine ganze Weile andauern.

Captain Dracan sah das neue Crewmitglied Naman an, als würde er abschätzen, ob es noch eine verborgene Intention hinter seinen Gesuch gab, sich auf die Jagd zu begeben.
"Du wirst vor dem Ablegen noch genug Zeit haben, deine Vorräte wieder aufzufüllen", lautete schließlich der Entschluss. "Und ich würde dir ebenfalls nahelegen, dein wölfisches Ich nicht an Bord meines Schiffes auszuleben."
Es sei denn, sie befahl es. Aber das verstand sich von selbst.
Lhea zog wahllos eine der Schubladen der Kapitänskommode auf und schmiss den Löffel und den Siegelring hinein. Das restliche Wachs knetete sie noch kurz zwischen den Fingern und ließ es dann auf den auf dem Tisch ausgebreiteten Karten liegen.
Abwägend sah sie ihre Navigationsgeräte an und schob sie dann beiseite. Der Abend hatte eine unerwartete Wendung erfahren und gerade war es nicht mehr von Nöten zu planen, wie sie am besten einen entlaufenden Hund einfing. Cysêth Naman hatte von selbst den Weg zurück und gleich noch in ihre Crew gefunden. Das würde für sie einiges überschaubarer machen.'
Als sie von ihrem Tisch aufsah, stand Naman immernoch genauso da, wie er bei der Signierung des Piratenvertrags auf der anderen Seite des Kartentisches verweilt hatte.
"Du bist entlassen", informierte ihn sein Captain und nickte mit dem Kopf kurz in Richtung der Tür.

Als Cysêth die Kajüte verlassen hatte, sahen sich der Captain und sein Steuermann kurz an. Dann verließ auch Arteilan den Raum und überließ Lhea sich selbst.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:20 am

Steffie
Was nutzte es, minutenlang eine verschlossene Tür anzustarren, die zweifelsohne keinen Bericht abstatten würde von dem, was sich dahinter abspielte. So wandte sich Aurora schulterzuckend davon ab und richtete ihren Blick gen offenes Meer.

Erst, als Adams wieder seine Worte an sie richtete und sie von der Seite her anlächelte, wandte sie sich wieder ihm zu. Würfeln? Ihre Mutter hatte sie stets vor Spielen aller Art bewahrt. Von Glücksspielen hielt sie nichts und folglich hatte Aurora noch nie ihre Zeit mit derartigem verbracht. Doch vor ein paar Wochen hatte sich ihr Leben grundlegend verändert. Um nicht zu sagen, ein neues Leben hatte für sie begonnen. Ein Leben in Freiheit. Ein Leben unter Piraten. Warum also nicht? Warum nicht die Gepflogenheiten der Crew annehmen, wenn sie schon selbst nur halb dazu gehörte. Zumindest fühlte sie sich so.

Ebenso von der Seite schielte sie den Geschützmeister an und grinste. „Noch nicht …“, war ihre Antwort auf seine Frage, dann wandte sich ihr Blick zu der Holzkiste, welche als Würfelunterlage diente und der soeben zwei Crewmitglieder fieberhaft im Gange waren. Ohne zu zögern trat sie rasch auf die Kiste zu und gesellte sich zu den Spielenden, um ihnen über die Schulter zu blicken. Keiner von ihnen schien Notiz von der Heilerin zu nehmen, waren sie doch sicherlich hoch konzentriert auf ihr Spiel. „Wie sind die Regeln?“, erkundigte sich Aurora deshalb. Einer von ihnen würde ihr darauf sicher antworten. Und wenn sie es nicht taten, dann sicher Adams, der ihr gefolgt war.
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BeitragThema: Re: Tortuga   Tortuga EmptySa Jun 01, 2013 2:21 am

Debbie
Adams ließ sich schwer gegenüber von Aurora an der Kiste nieder und überkreuzte die Beine. Die Würfel klapperten auf dem Zinnteller, welcher als eine zweite Unterlage galt und mitsammt des Bechers und der verdeckten Würfel herumgereicht wurde.
"Es geht um's Lügen", grinste er und musterte seinen Nebenmann scharf, der ihm mit der Ansage "Elf" Becher und Teller reichte. Die Würfel blieben verdeckt und Adams würfelte ebenfalls. Er warf einen schnellen Blick unter den Becher, reichte ihn an seinen Nachbarn auf der anderen Seite und sagte "Vierzehn."
Dieser überlegte kurz. Dann würfelte er ebenfalls, sah unter den Becher, reichte ihn Aurora und grinste. "Sechzehn."
Der Geschützmeister und die Heilerin wechselten einen kurzen Blick und Adams schüttelte kaum merklich den Kopf. Aurora deckte die Würfel auf. Die Augen zeigten neun Punkte an und der Lügner schlug die Hände vor die Augen.
"Und jetzt darfst du ihn schlagen und selbst einen Schluck nehmen", erklärte Adams grinsend und reichte der jungen Frau eine Buddel voll Rum. Als Aurora zögerte begannen er und der Mitspieler zu ihrer Rechten, welcher das Spiel begonnen hatte, sie leise anzufeuern und wurden dann immer lauter.
Ein großes Paar Stiefel tauchte während es allgemeinen Tumults um das Anfeuern neben der Kiste auf und kurz darauf ließ sich der Steuermann Arteilan ebenfalls an der Kiste nieder. In seinen Händen hielt er getrocknete Hanfstränge, welche er sofort geschickt begann zu einem festen Schiffstau zu verspleißen. Dabei ließ er die Spieler jedoch für keinen Moment aus seinen kleinen, fast schwarzen Augen.
Die Piraten um die Kiste stöhnten missmutig auf. Mit Arteilan zu spielen konnte sehr anstrengend sein. Da er nie sprach, deckte er meistens nur die Würfel auf. Wenn sein Vorgänger gelogen hatte, konnte er vor einem mächtigen Hieb auf den Hinterkopf in Deckung gehen und wenn er es nicht getan hatte, dann machte es Arteilan auch nicht im Geringsten etwas aus selbst eine Faust in die Magengegend zu empfangen. Viel eher rieb sich der Schläger danach winselnd die Knöchel, denn dieser Mann schien aus massiven Fels zu bestehen.
Noch immer hatte Aurora den Spieler zu ihrer Linken nicht mit einem saftigen Klaps auf den Hinterkopf bedient und so nickte ihr Adams abermals aufmunternd zu, während er sie weiterhin leise anfeuerte und dabei über beide Wangen grinste.
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